Verloren unter 100 Freunden
ist ausgezogen. Wenn Kismet bei mir wohnen würde, würde ich niemals ausziehen, niemals. Ich würde ihm jeden Morgen ein Glas Saft hinstellen. Ich würde ihm ein gemütliches Bett machen. Und ich würde ihm beibringen, richtig zu sprechen, nicht nur das bisschen, was er jetzt schon kann.« Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen diesen Äußerungen und dem, was in einer
Therapeutenpraxis geschieht, wenn Kinder mit Puppen ihre Konflikte darstellen. Mittels einer Puppe kann man seine Gefühle herauslassen, sich an einem imaginären Freund freuen und über sich erfahren, was einem auf der Seele lastet. Aber anders als Puppen »machen« diese Roboter »mit«. Kinder tun mehr, als sie nur zum nochmaligen Durchleben vergangener Beziehungen zu benutzen. Sie hoffen auf eine Beziehung mit dem Roboter in der realen Welt.
Madison, neun, arbeitet an einem Tag mit Kismet, an dem der Roboter perfekt funktioniert. Seine Mimik ist punktgenau. Er merkt sich Wörter und wiederholt sie in menschlichen Kadenzen. Das Resultat ist, dass Madison so wirkt, als würde sie tatsächlich mit jemandem sprechen, von dem sie sich perfekt verstanden fühlt.
Madison stellt Kismet mit leiser Stimme Fragen. »Wie heißt du? Hast du Eltern?« Kismet antwortet freundlich. Ermutigt fährt Madison fort. »Hast du Geschwister?« Kismet bewegt den Kopf in einer Weise, die Madison suggeriert, er würde nicken. Madison erzählt uns, dass Kismet ein kleines Mädchen sei (sie wurde »aus einem Magen geboren«), aber eine neue Art von kleinem Mädchen. Und wie jedes sehr junge Kind wisse Kismet nicht, wann ihr Geburtstag ist. Madison möchte ihr eine »liebe Mama« sein. »Magst du Eiscreme?« , fragt Madison, und als Kismet die Frage leise mit Ja beantwortet, beginnen die beiden, über verschiedene Eissorten, dann über Lieblingsfarben und die besten Spielsachen zu sprechen.
Madison hält Kismet ein Spielzeug nach dem anderen vor das Gesicht und lacht über das Mienenspiel des Roboters. Sie erzählt Kismet, einige Mädchen an ihrer Schule seien gemein zu ihr; sie findet, Kismet sei viel netter als die Mädchen. Kismet sieht Madison aufmerksam an und klingt interessiert. In dieser herzlichen Atmosphäre erzählt Madison Kismet, sie freue sich darauf, den Roboter ihrem kleinen Schwesterchen zu zeigen. Mit dem Baby zu spielen
sei ihr liebster Zeitvertreib und sie hoffe, dass es Kismet genauso viel Spaß machen werde. Kismet nickt und schnurrt zufrieden. Wieder verwandelt sich eine Projektion auf ein Objekt in eine Bindung zu einem Subjekt – von Rorschach zur Beziehung.
Madison glaubt, dass Kismet von jedem Kind, das mit dem Roboter spielt, etwas lerne. Aber man darf nicht ungeduldig sein. »Babys lernen langsam«, sagt sie. Wie ein Baby werde auch Kismet im Laufe der Zeit alles Nötige lernen. »Ich habe Kismet beigebracht, wie man lächelt«, sagt Madison. »Sie [Kismet] ist noch klein, aber sie wird wachsen.« Um die Behauptung zu untermauern, unterscheidet Madison, genau wie Lauren, zwischen dem, was man von den Lernfortschritten eines Kindes erkennen kann und dem, was sich dem Blick entzieht: »Man kann nicht immer erkennen, was ein Baby gerade gelernt hat.« Das Gleiche gilt für Kismet. Kismet lernt im »Inneren«, auch wenn wir nichts davon sehen. Eine Mutter weiß, dass ihr Kind Geheimnisse hat.
In der einen Stunde, die Madison mit Kismet spielt, wird das Mädchen immer fröhlicher und entspannter. Das Kind und den Roboter zusammen zu beobachten, verführt dazu, auch Kismet immer fröhlicher und entspannter zu finden. Kind und Roboter sind ein glückliches Paar. Es ist fast unmöglich, Madison nicht als eine glückliche Mutter und Kismet nicht als zufriedenes Kind zu betrachten. Zweifellos hat es den Anschein, als würde Kismet Madison den anderen Kindern vorziehen, die den Roboter an diesem Tag schon besucht haben. Für mich ist ihr Gespräch einer der unheimlichsten Momente bei dieser Studie, denn Kismet weiß nichts über Eissorten, über kleine Schwestern oder gemeine Schulkameradinnen. Kismet mag Madison nicht; der Roboter ist nicht dazu fähig, jemanden oder etwas zu mögen.
Mit Enttäuschung und Wut ein »Du« erschaffen
Den Kindern in dieser Studie ist es viel wichtiger, als ich erwartet hatte, die Aufmerksamkeit und Zuneigung des Roboters zu gewinnen. Deshalb ist ihre Interpretation der Fehlfunktionen auch so raffiniert: Sie können sich von dem Roboter abwenden, ohne sich zurückgewiesen zu fühlen. Aber die verletzlichsten Kinder nehmen
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