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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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könnte; die meisten seiner Kollegen sind anderer Ansicht. Sie möchten Maschinen bauen, die von Menschen als ihresgleichen angenommen werden. Sie empfinden ein nachgestelltes Verhalten nicht als Täuschung, sondern als etwas, was eine Beziehung
ermöglicht. In Der Staat sagt Platon: »Freilich […] scheint alles zu bezaubern, was täuscht.« 10 Der Gedanke funktioniert auch andersherum. Sobald Cog einen bezaubert, nimmt man ihn als Verwandten an. Das, was bezaubert, täuscht.
    Kindern ist dieser Gedanke seit langem vertraut; er ist ein bekanntes Merkmal in Märchen. Im zweiten Band der »Harry Potter«-Reihe, einer Geschichte über junge Zauberer an einer Zauberschule, gerät Harrys Freundin Ginny Weasley in den Bann eines interaktiven Tagebuchs. Sie schreibt etwas hinein, das Tagebuch schreibt etwas zurück. Es ist die Zauberversion des ELIZA-Programms. Selbst in einer von lebendigen Objekten animierten Welt (hier können sich Menschen in Fotos bewegen und miteinander reden) ist Vorsicht geboten. Ginnys Vater, selbst ein Zauberer, fragt seine Tochter: »Habe ich dir denn gar nichts beigebracht? Was habe ich dir immer gesagt? Du sollst keinem Ding vertrauen, das für sich selbst denken kann, falls du nicht erkennst, wo es sein Hirn versteckt hält .« 11 Aber natürlich ist es zu spät. Wenn etwas selbst zu denken scheint, stecken wir es in die Kategorie der Dinge, »mit denen wir Beziehungen eingehen«. Und dann möchten wir keine Informationen über seine Funktionsweise bekommen (oder ein Detail, wie zum Beispiel, wo es sein Hirn versteckt hält), die unsere Bindung zunichte machen könnten. Kinder stecken Cog in diese Kategorie.
    Als Scassellati Cog in eine schlaffe Puppe verwandelt und zeigt, wo Cog »sein Hirn versteckt hält«, behalten die Kinder weiterhin den autonomen, aufgeschlossenen Roboter im Kopf. Sie betrachten Cogs Fehlfunktionen als Gebrechen und bieten Hilfe an. Ein Teil der Komplizenschaft besteht darin, einen Roboter zu »decken«, wenn er kaputtgegangen ist. Cogs gebrochenen Arm bezeichnen die Kinder als »Verletzung«. Sie sind besorgt: »Glauben Sie, er braucht eine Art, äh, Verband?«
    Ein »Du« durch Gesicht und Stimme erschaffen
    Wie bei Cog beschreiben die Kinder den »angeschlagenen« Kismet als krank oder ruhebedürftig. Als Kismet eines Tages nicht spricht, reden die Kinder vom »tauben« Kismet und bereden, was sie ihm alles erzählen werden, wenn es ihm wieder »besser geht«. Robyn, neun, unterhält sich mit einem ausdrucksvollen gesprächigen Kismet, der plötzlich verstummt und erstarrt. Robyns Reaktion: »Er ist eingeschlafen.«
    Manchmal spinnen Kinder komplexe Narrative um Kismets Fehlfunktionen. Lauren, zehn, beginnt einen lustigen Reim, bei dem Kismet ihre Wörter nachspricht. Als Kismet verstummt, vergleicht Lauren die Situation des Roboters mit ihrer eigenen. Es sei nicht immer möglich zu erkennen, was Kismet lernt, indem man beobachtet, »was draußen passiert«, genauso wie wir nicht beobachten könnten, was in ihrem (Laurens) Innern geschehe, während sie aufwächst. Trotz Kismets Stummheit glaubt Lauren, dass ihr Gegenüber im »Inneren« weiter heranwächst. Lauren hält Kismet für »lebendig genug«, um Eltern und Geschwister zu haben, »aber ich sehe nirgendwo welche«. Sie fragt sich, ob ihre Abwesenheit Kismets Verstummen ausgelöst hat.
    Fred, acht, begrüßt Kismet lächelnd und sagt: »Du bist cool!« Er erzählt uns, er werde von seinen beiden älteren Brüdern terrorisiert, »deren Lieblingsbeschäftigung es ist, mich zu verprügeln«. Ein Roboter könnte Abhilfe schaffen. Fred sagt: »Ich wünschte, ich könnte mir einen Roboter bauen, der mich vor meinen Brüdern beschützt … Ich möchte einen Roboter haben, der mein Freund ist … Ich möchte ihm meine Geheimnisse verraten.« Fred schaut intensiv in Kismets große blaue Augen und scheint seinen Retter gefunden zu haben. Als Reaktion auf Freds warmherzige Begrüßung stößt Kismet einige willkürliche Laute aus, die Fred jedoch als Erwiderung
interpretiert. Ihm zufolge hat Kismet gesagt: »Was machst du hier, Rudy (einer von Freds Brüdern)?« Fred ist nicht erfreut, dass Kismet ihn mit einem seiner rauflustigen Brüder verwechselt, und verbessert Kismet. »Ich bin Fred, nicht Rudy. Ich bin hier, um mit dir zu spielen.« Nun ist Fred zufrieden, dass Kismet seine Identität registriert hat, während der Roboter sein leises Gebrabbel fortsetzt. Fred ist bezaubert von ihrem Wortwechsel. Als Fred ihm

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