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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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Enttäuschungen von Seiten des Roboters sehr persönlich. Die Kinder, die sich am meisten über die Gleichgültigkeit des Roboters ärgern, sind diejenigen, die sich zu Hause am stärksten vernachlässigt fühlen. Sie wirken fast verzweifelt bemüht, von Kismet und Cog erkannt zu werden und eine Reaktion von ihnen zu erhalten. Da die Kinder in unserer Studie aus den verschiedensten Milieus kommen, erzählen uns einige, dass der kleine Imbiss, den sie während ihres Besuchs am MIT bekommen, die beste Mahlzeit des Tages sei. Einige berichten, dass sie während ihres MIT-Besuchs so viel Aufmerksamkeit erhalten wie sonst in einer ganzen Woche. Kinder aus ärmeren wie auch aus wohlhabenderen Familien berichten, dass sie ihre Eltern nur selten zu sehen bekommen. Wenn diese Kinder technische Defizite der Roboter als Zurückweisung interpretieren, werden sie wütend, sind niedergeschlagen oder eingeschnappt. Einige lassen sich zu dummen Streichen verleiten.
    Meine Notizen nach einer Sitzung mit Kismet beschreiben ein Gespräch mit den jüngsten Mitgliedern meines Forschungsteams, zwei College-Studenten im Abschlussjahr und zwei Uni-Studenten. »Notfall-Besprechung mit Team nach Sitzung mit Estelle. Enttäuschung über Kismet verleitet sie zum Fressanfall; sie zieht sich zurück. Team fühlt sich verantwortlich. Wie geht man mit solchen Kindern um? Was wollte das Kind? Einen Freund? Eine Zukunft?« Mein Team trifft sich im Café, um die moralischen Aspekte beim Zusammenbringen eines Kindes mit einem sozialen Roboter zu diskutieren,
dessen technische Mängel ihn an dem Kind uninteressiert scheinen lassen.
    Wir haben den Nachmittag mit der zwölfjährigen Estelle verbracht, die unseren Flyer am Schwarzen Brett ihrer Nachmittagsspielgruppe gesehen hatte: »Kinder für Studie gesucht. Trefft MIT-Roboter!« Sie zeigte den Flyer ihrer Erzieherin und bat darum, teilnehmen zu dürfen. Estelle erzählt uns, sie habe »neben der Erzieherin gestanden«, als diese beim MIT anrief. Sie hatte erkennbar großes Augenmerk auf ihr Äußeres gelegt, als sie sich auf den Besuch bei uns vorbereitete. Sie trägt ihre besten Sachen, ihre Haare sind frisch gewaschen. Als wir sie abholen, redet Estelle ohne Unterlass von »diesem wundervollen Tag«. Sie war noch nie am MIT, weiß aber, dass es »ein sehr wichtiger Ort ist«. Niemand in ihrer Familie hat studiert. »Ich bin die Erste von uns, die zu einer Universität geht … und zwar heute.«
    Am Tag von Estelles Besuch funktioniert Kismets Mimik tadellos, aber seine stimmliche Leistung ist nicht die beste. Wir erklären Estelle Kismets technische Probleme, aber dennoch versucht sie mit aller Macht, ihn zum Sprechen zu bringen. Als ihre Bemühungen fehlschlagen, ist Estelle eingeschnappt. Sie geht in das Zimmer, in dem wir uns mit den Kindern vor und nach der Sitzung mit den Robotern unterhalten. Wir haben dort ein paar Kleinigkeiten zum Essen hingestellt. Estelle beginnt die Sachen in sich hineinzuschaufeln und hört nicht auf, bis wir sie bitten, den anderen Kindern doch bitte ein paar Cracker, Kekse und Säfte übrigzulassen. Sie hört kurz auf zu essen, fängt aber wieder an, während wir auf den Fahrdienst warten, der sie zu ihrer Spielgruppe zurückbringen wird. Sie erzählt uns, der Roboter würde sie nicht mögen. Wir erklären ihr, das stimme nicht. Sie lässt sich nicht besänftigen. Aus ihrer Sicht hat sie am wichtigsten Tag ihres Lebens versagt. Als Estelle uns verlässt, nimmt sie vier Kekspackungen aus unserer Vorratsbox
und stopft sie in ihren Rucksack. Wir lassen sie gewähren. Hinterher setzen wir uns erschöpft zusammen und stellen uns eine harte Frage: Kann ein kaputter Roboter ein Kind brechen? Diese Frage würden wir uns nicht stellen, wenn wir Kinder mit einer beschädigten »Microsoft Word«-Version spielen ließen oder mit einer kaputten Stoffpuppe. Aber soziale Roboter wecken genug Emotionen, um diese Möglichkeit sehr real erscheinen zu lassen.
    Die Frage kommt erneut bei dem zwölfjährigen Leon auf. Schüchtern und klein für sein Alter, fühlt Leon sich meistens wie ein Außenseiter. In Cog sieht Leon jemanden, der wahrscheinlich »auch kaum Freunde hat«, und Leon sagt, sie hätten eine gute Chance, sich aufeinander einzulassen. Aber wie Estelle hat auch Leon bei Cog keinen guten Tag erwischt. Cog funktioniert nicht richtig und wirkt gelangweilt. Das unsichere Kind gelangt schnell zu dem Schluss, dass der Roboter nicht an ihm interessiert sei. Wir zeigen Leon, wie Cog

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