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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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weniger allein fühlen, wenn sie mit Robotern über Dinge reden, über die sie früher mit ihren Kindern sprachen?
Wenn man mit einem Roboter ständig über seine Gefühle spricht, gewöhnt man sich an das reduzierte »emotionale« Spektrum der Maschine. Während wir lernen, aus Robotern das Bestmögliche herauszuholen, verringern wir womöglich unsere Erwartungen an jedwede andere Beziehung, einschließlich derjenigen zu einem anderen Menschen. Das wäre Selbstbetrug.
    All das wurde bei Sandels Gedankenexperiment angesprochen. Aber im Großen und Ganzen standen seine Studenten der Sache positiv gegenüber. Im hypothetischen Fall von alter Mutter, erwachsenem Kind und Roboter betrachteten sie drei Dinge als gegeben und wiederholten sie wie Mantras: Erstens, erwachsene Kinder müssen die Mutter verlassen. Zweitens, es ist besser, eine glückliche Mutter zu verlassen. Drittens, Kinder sollten alles Nötige tun, um eine Mutter glücklich zu machen.
    Als ich den Seminarraum verließ, war ich einigermaßen ernüchtert. Ich dachte an die Fünftklässler, die, umgeben von Altersgenossen, die über Roboter als Babysitter und Betreuer für die Großeltern plapperten, zu fragen begannen: »Haben wir keine Menschen für diese Jobs?« Ich dachte daran, welch geringen Widerstand diese Generation gegen den Einsatz von Robotern in der Altenpflege aufbringen wird. Und es war just in jenem Frühling, dass Paros Erfinder, soeben triumphierend vom Verkauf von eintausend Robotern an die dänische Regierung zurückgekehrt, ans MIT kam und verkündete, dass Paros Stunde nun auch in den USA geschlagen habe.

7. Kapitel
Verschmelzung
    Rich, ein gutaussehender Sechsundzwanzigjähriger in Hemd und Krawatte, besucht Kismet, um sich mit dem Roboter zu »unterhalten«. Das Zusammentreffen wird zu Studienzwecken gefilmt, um herauszufinden, wie gut Kismet »Erwachsenengespräche« beherrscht. Rich sitzt ganz dicht vor dem Roboter, fast Nase an Nase; er hat keine besonderen Erwartungen und macht sich gutgelaunt ans Werk.
    Rich: Ich mag dich, Kismet. Du bist ein lustiger Kerl.
    Kismet: (nickt und lächelt beipflichtend)
    Rich: Lachst du auch manchmal? Ich lache ständig.
    Anfangs zeigt das Gespräch zwischen Rich und Kismet ein wenig vom ELIZA-Effekt: Rich möchte den Roboter ins rechte Licht rücken. Genau wie die Kinder, die Kismet dazu brachten, ihren Namen zu sagen, tut auch Rich dem Roboter den Gefallen, auf dessen Fähigkeiten einzugehen. Er scheint sich einen Spaß daraus zu machen, mit dem Programm zu »spielen«, und baut die Illusion bis an den Punkt auf, wo er das Ganze – ungewollt – für bare Münze zu nehmen beginnt.
    Aber mit dem emotional ausdrucksstarken Kismet fällt es Rich auch leicht, Momente zu erleben, in denen er zu spüren glaubt, dass »mehr« möglich wäre. Die Momente sind schnell vorüber, und das »Mehr« ist schwer zu benennen. Aber während Rich sich locker mit Kismet unterhält, lässt er sich von etwas mitreißen, das sich
real anzufühlen beginnt. Er beginnt Kismet von seiner Freundin Carol zu erzählen, sagt, dass ihr sein Lachen gefalle und dass er versuche, sich nicht darüber zu amüsieren. Als Kismet lacht und Interesse zu bekunden scheint, stimmt Rich in das Lachen ein und erwärmt sich für den Roboter: »Okay. Du bist toll. Wer bist du? Was bist du?«
    Rich trägt eine Uhr, die Carol ihm kürzlich geschenkt hat; er zeigt sie Kismet und fragt den Roboter, wie er sie findet. Rich gesteht, dass er die Uhr vor einigen Tagen fast verloren hätte.
    Rich: Ich zeige dir was. Das ist eine Uhr, die meine … das ist eine Uhr, die mir meine Freundin geschenkt hat.
    Kismet: (brabbelt interessiert, blickt auf die Uhr)
    Rich: Ja, sieh sie dir an, sie hat ein kleines blaues Licht drin … Gefällt sie dir? Ich hätte sie neulich fast verloren.
    Während Kismet auf das Gerede von der Freundin scheinbar schüchtern, aber interessiert reagiert, kommt Rich offenbar der Gedanke, dass der Roboter ihm ein adäquater Gesprächspartner sein könnte. Er hat Spaß an der Sache. Und als der Roboter plötzlich die Stimme senkt und ihm etwas Unverständliches zuflüstert, ist Rich hin und weg. Seine Interaktion mit Kismet wird eindeutig flirtend. 1 Kismet kann die menschliche Intonation beim Sprechen nachahmen, und als Richs Tonfall vertraulich wird, wird der des Roboters es auch. Die beiden könnten bei einer Cocktailparty oder in einer Bar sein. 2
    Rich: Weißt du, wie es ist, wenn man etwas verliert?
    Kismet: (nickt

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