Verloren unter 100 Freunden
erkennen vermag. Es löst in uns den Wunsch aus, erkannt zu werden. Hier geht es nicht um die Fähigkeit des Roboters, uns zu erkennen. Es geht um unseren Wunsch, dass er es kann.
Lindman konnte Edsinger nicht ohne die Vorstellung spielen, dass er wollte, dass der Roboter ihn erkennt; und sie konnte Domo nicht spielen, ohne sich vorzustellen, dass er wollte, dass Edsinger ihn erkennt. Deshalb interpretiert Lindman Domo bei seiner Ballsuche als verwirrten Roboter, der die ihm nahestehendste Person sucht, ihr in die Augen schaut und hilfesuchend ihre Hand ergreift. Es ist ein klassischer Moment, in dem ein Mensch das Gefühl von Verbundenheit spüren könnte. Edsinger spürt diese Nähe – und zwar nicht nur in Lindmans Darstellung –, unbeeinflusst von seinem Wissen um die Funktionsweise des Roboters. Für Lindman entsteht aus derartigen Interaktionen die »entscheidende Frage nach Authentizität und wahrer Emotion«.
Lindman sorgt sich, dass wir ihre romantischen Skripte »nicht authentisch finden könnten«, weil Roboter »etwas Mechanisches
ohne Geist« seien. Bei ihrem Trauer-Projekt habe sie aber gemerkt, dass Trauer immer in einer Abfolge strukturierter Muster ausgedrückt wird, die, wie sie meint, von der Biologie und der Kultur programmiert wurden. Also hätten auch wir, genau wie Roboter, Programme, die unseren Ausdruck von Gefühlen steuern. Selbst in unseren emotionalsten Momenten bewegten wir uns innerhalb der Grenzen bestimmter Mechanismen. Und wenn unsere Emotionen derartigen Programmierungen unterliegen, so fragt Lindman, wie sehr unterscheiden sie sich dann letztlich von denen einer Maschine? Lindman meint, die Grenzen verschwänden. Wir seien authentisch in der Art, in der auch eine Maschine es sein könne, und eine Maschine könne authentisch sein in der Art, wie ein Mensch es sein könne.
Und damit wäre ich wieder dort, wo ich begann. Die Fragen für die Zukunft drehen sich nicht darum, ob Kinder ihre Robotertiere mehr lieben werden als ihre Haustiere und sogar mehr als ihre Eltern. Die Fragen lauten eher: Was wird Liebe sein? Und was bedeutet es, immer größere Intimität mit unseren Maschinen zu erlangen? Sind wir bereit, Spiegelbild der Maschine zu werden und Liebe als unsere Darstellung von Liebe zu betrachten?
Beim Nachahmen der Trauerszenen spürte Lindman, wie ihr Körper einen bestimmten Gemütszustand erzeugte. Und mit derselben Grundhaltung »spürt« sie, so sagt sie, Domos Gemütszustand, wenn sie den Roboter nachahmt. Aber Lindman ist offen für weitergehende Erfahrungen. Nach Abschluss des Domo-Projekts beginnt sie zu erforschen, wie sie ihr Gesicht physisch mit dem Computer verkoppeln könnte, der den Roboter Mertz steuert.
Lijin Aryanandas Schöpfung Mertz, ein Metallkopf auf einem beweglichen Hals, ist eine Weiterentwicklung von Kismets Gesicht und seinem Sprech- und Sehvermögen. Wie Kismet hat auch Mertz ausdrucksvolle Brauen über den schwarzen Kulleraugen. Doch
dieser Roboter beherrscht tatsächlich simples Englisch. Wie Domo wurde auch Mertz im Hinblick darauf entwickelt, als hilfreicher Hausgenosse zu agieren. Im Laufe der Zeit lernt er von selbst eine Reihe bestimmter Personen zu erkennen und sich mit ihnen in einer Sprache zu unterhalten, die die passenden emotionalen Kadenzen besitzt. Lindman hofft, dass sie, wenn sie sich irgendwie in Mertz »einstöpseln« kann, eine direkte Erfahrung seines inneren Zustandes machen wird. »Ich werde seine Gefühle spüren«, sagt sie aufgeregt. Und Lindman möchte ihr Hirn scannen lassen, während sie an Mertz angeschlossen ist, um Bilder von ihrer Hirnaktivität mit dem zu vergleichen, was wir über die Vorgänge in der Maschine wissen. »Wir können uns tatsächlich beides anschauen«, sagt sie. »Ich werde die Verkörperung der KI sein, und wir werden sehen, ob mein Hirn lächelt, wenn der Roboter lächelt.«
Bald erfährt Lindman, dass man ein menschliches Gehirn nicht in die Output-Vorrichtung einer Roboterintelligenz einstöpseln kann. Deshalb modifiziert sie ihren Plan. Ihr neues Ziel ist, Mertz’ Gesichtsausdruck zu »tragen«, indem sie statt ihres Hirns ihr Gesicht an den Mertz-Computer anschließt, »um das Werkzeug für den Gefühlsausdruck der künstlichen Intelligenz zu werden«. Auf der Basis ihrer Arbeit mit Domo nimmt Lindman an, dass sie, während sie versucht, der Roboter zu sein, eine Kluft erleben wird zwischen dem, wer sie ist und dem, was sie empfinden wird. Sie hofft, dass das Experiment ihr dabei
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