Verloren unter 100 Freunden
uns schließlich auch von Tieren und Haustieren aufmuntern, die in den meisten Fällen doch ein recht eingeschränktes Verständnis von uns haben.« Warum sollten wir also keine neuen Beziehungen (mit Robotern) eingehen, die ihrerseits über neue Einschränkungen verfügen?
Und außerdem, so Edsinger weiter – und dieses Argument wurde bereits an anderer Stelle genannt –, genössen wir ja auch die Gesellschaft von Menschen, deren wahre Motive wir oft nicht kennen. Wir weisen Menschen, denen wir eigentlich egal sind, einfühlsame Rollen zu, zum Beispiel einer Krankenschwester, die im Krankenhaus unsere Hand hält. Wie wichtig ist es, ob die Krankenschwester wirklich unsere Hand halten möchte? Was, wenn dies nur eine leere Geste ist, etwas, das einer Programmierung ähnelt? Ist es wichtig, dass die programmierte Krankenschwester ein Mensch ist? Edsinger verneint dies. »Wenn Domo meine Hand hält«, so der Konstrukteur, »fühlt es sich immer gut an … Es ist immer das Gefühl da, dass ein Wesen mit mir Kontakt aufnimmt und dass es den Kontakt wirklich möchte, ihn braucht. Das gefällt mir, und ich lasse dieses Gefühl bereitwillig zu … das Gefühl, gewollt zu sein, obwohl mir völlig klar ist, dass der Roboter in Wahrheit nichts empfindet.« Ich
hake noch einmal nach, frage Edsinger: »Ist es angenehm, berührt zu werden, obwohl Sie wissen, dass der Roboter Sie nicht aus eigenem Antrieb berührt?« Edsinger ist sich seiner Antwort sicher: »Ja.« Aber im nächsten Moment macht er eine Einschränkung: »Na ja, ein Teil von mir versucht sich jedenfalls einzureden, dass Domo etwas dabei empfindet.«
Einer der anspruchsvollsten Roboter-»Benutzer« der Welt kann also nicht der Vorstellung widerstehen, dass der leichte Gegendruck einer Roboterhand Anteilnahme signalisiert. Wenn wir das Leistungsvermögen dieser Maschinen ehrlich einschätzen, müssen wir akzeptieren, dass sie absolut gleichgültig sind. Und doch signalisiert eine Hand, die nach unserer greift: »Ich brauche dich. Kümmere dich um mich. Pass auf mich auf. Und dann werde ich mich vielleicht auch um dich kümmern wollen .« Das, was Roboter anbieten, trifft auf unsere menschlichen Schwachstellen. Wir können mit Robotern im vollen Wissen um ihre Einschränkungen interagieren und nichtsdestotrotz Behagen empfinden durch etwas, das wie unerwiderte Liebe anmutet.
Ein »Mehr«-Moment: Körper und Geist verschmelzen
Im Herbst 2005 kam die Künstlerin Pia Lindman zum MIT und hatte nur eines im Sinn: mit der Maschine zu verschmelzen. Sie hatte eine künstlerische Vision und wollte einen Weg finden, ihr Gesicht und ihren Körper mit den sozialen Robotern des MIT zu verkoppeln. Sie hoffte, dadurch das Wesen der Maschine kennen zu lernen. Für Lindman waren die Roboter das, was Emerson »Testobjekte« genannt hätte. Sie erhoffte sich neue Einsichten über sich selbst, wenn sie in das Wesen eines Roboters eintauchte.
Die sozialen Roboter des MIT entspringen einer philosophischen Tradition, die Körper und Geist als untrennbar erachtet. Ausgehend von Immanuel Kant, Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty und in jüngerer Zeit von Hubert Dreyfus und Antonio Damasio, erklärt diese Tradition, dass unser Körper buchstäblich das Werkzeug unserer Gedanken sei. Deshalb müsse jeder Computer, der intelligent sein möchte, sich erst einmal einen Körper zulegen. 6 Nicht alle Schulen der Künstlichen Intelligenz teilen diese Sichtweise. Ein Zweig dieses Feldes, oft als »symbolische KI« bezeichnet, gründet auf dem kartesianischen Körper/Geist-Dualismus und erklärt, dass maschinelle Intelligenz mittels Regeln und der Darstellung der Fakten programmiert werden könne. 7
In den Sechzigerjahren legte Hubert Dreyfus sich mit der Gemeinde der symbolischen KI an, als er entgegnete, »Computer benötigen Körper, um intelligent zu sein.« 8 Diese Haltung hat eine logische Konsequenz: Was immer Maschinen zu leisten vermögen, wird nicht das Gleiche sein, was der Mensch leistet, da man einer Maschine keinen menschlichen Körper geben kann. Deshalb wird die Maschinenintelligenz, ganz gleich wie interessant sie ist, immer fremdartig sein. 9 Der Neurologe Antonio Damasio nimmt aus einer anderen Forschungstradition an dieser Debatte teil. Für Damasio ist alles Denken und Fühlen verkörpert. Die Abwesenheit von Gefühl verringert das Ausmaß der Rationalität, weil wir buchstäblich mit unseren Gefühlen denken – deshalb auch der tadelnde Titel seines Buches von
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