Verloren unter 100 Freunden
gelernt und mit ihr über den Auftritt und die Entstehung des Films gesprochen. »Ich verwandele mich in die menschliche Version von Domo … ich spüre die Verbundenheit zwischen Edsinger und Domo … Man spürt die Zärtlichkeit und Zuneigung in ihren Gesten, ihre Freude, zusammen zu sein.« Sie schwärmt von einer Sequenz, bei der Edsinger versucht, Domo zu bewegen, einen Ball aufzuheben. Der Ball liegt nicht in Domos Blickfeld. Der Roboter sieht Edsinger an, als würde er sich an eine Person wenden, die ihm helfen kann, eine Person, der er vertraut. Er greift nach Edsingers Hand. Für den Roboter, so Lindman, »gibt es Informationen, die er durch Berührung erlangen kann«. Domo und Edsinger starren einander an, Domos Hand liegt auf Edsingers, als würde der Roboter den Mann inständig um Hilfe bitten. Lindman sagt, dass sie, während sie Domo in dieser Sequenz nachspielte, nicht an den Ball denken konnte, den es zu finden galt … »Für mich war es immer eine romantische Liebesszene.«
Für Lindman ist diese Szene entscheidend. Als sie den Roboter nachzuahmen versuchte, merkte sie, dass sie dazu ein Skript benötigte, das Liebe zum Inhalt hatte. »Die einzige Möglichkeit, mir die Bewegungen einzuprägen, bestand darin, mir dazu eine kleine Geschichte auszudenken. Emotionen in die Bewegungen zu legen half mir, sie mir zu merken.« Sie weiß, dass Edsinger die Szene ganz anders erlebte. Für ihn gab es Momente, in denen er den Roboter gleichzeitig als Programm und als Geschöpf betrachtete. »Er hat oft auf den Monitor geschaut, auf dem der Code herunterscrollte … Er beobachtete das Verhalten des Roboters und die internen Prozesse, aber zugleich war er gebannt von der physischen Interaktion, in die
er hineingezogen wurde.« Edsinger schrieb Domos Programm, aber er lernt auch aus den Berührungen. Wenn ich mir diese Momente im Film ansehe, sehe ich eine besorgte Mutter, die ihrem Kind die Hand auf die Stirn legt, um zu prüfen, ob es Fieber hat.
Über die Szene, in der Edsinger Domos Hand herunterdrückt, um einen Zusammenstoß zu verhindern, sagt Lindman:
»Edsinger hält Domos Hand so (Lindman legt eine Hand auf die andere) und schaut Domo in die Augen, um zu verstehen, was der Roboter tut. In welche Richtung blickt er? Versucht er zu begreifen, was er sieht, oder begreift er, was er sieht? Den Blickkontakt mit Domo herzustellen ist der Schlüssel. Und es gelingt Edsinger. Er mustert Domo, um zu verstehen, wohin dieser blickt, und dann wendet Domo langsam den Kopf und schaut Edsinger in die Augen. Es ist ein sehr romantischer Moment.«
Auch Edsinger hat diese Szene als einen Moment beschrieben, in dem er das Wohlgefühl verspürt, gebraucht zu werden. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sich Lindman, um diese Szene nachzuspielen, einen Moment des Begehrens vorgestellt hat. Sie sagt: »Es ist, als hätte ich mir vorstellen müssen, dass der Roboter Gefühle hat, damit ich ihn richtig verstehen kann.« Sie kann Domo nur spielen, wenn sie sich in eine Frau hineinversetzt, die einen Mann begehrt. »Es ist die Szene«, gesteht sie, »die mir am besten gelingt.«
Beim Trauer-Projekt haben Lindmans Körperhaltungen Gefühle der Hoffnungslosigkeit ausgelöst, was sie auf die Spiegelneuronen zurückführt. Sie hatte erwartet, dass beim Nachahmen des Roboters nichts Derartiges geschehen würde, weil die Maschine »ja keine Gefühle hat, die man spiegeln könnte«. Aber letzten Endes musste Lindman dann Gefühle erzeugen, um ein gefühlloses Objekt zu werden. »Um mir die Bewegungen des Roboters einzuprägen, musste
ich mir sagen: ›Er tut dies, weil er sich so und so fühlt‹ … Es war nicht, als hätte ich wirklich etwas gefühlt, aber ich musste dieser Logik folgen.« Tatsächlich hat Lindman doch etwas gefühlt (man bedenke die Spiegelneuronen). Und trotz ihrer anderslautenden Äußerung hat sie nicht anders gekonnt, als der Maschine gewisse Emotionen zuzuschreiben. Wenn das Thema »Verschmelzen mit dem Leblosen« lautet, dann sind dies die verräterischen Widersprüche einer beteiligten Expertin. 14
Der Philosoph Emmanuel Lévinas schreibt, die Gegenwart eines Gesichts sei das Medium des Ethischen. 15 Das Gesicht kommuniziert: »Du sollst mich nicht töten.« Wir sind gefesselt vom Gesicht, noch ehe wir wissen, was sich dahinter verbirgt, noch ehe wir erfahren könnten, dass es das Gesicht einer Maschine ist. Das Robotergesicht signalisiert das Vorhandensein eines Ichs, das sein Gegenüber zu
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