Verloren
Augen sich jetzt in meine zu bohren scheinen. Und dann spricht er aus, was schon die ganze Zeit zwischen uns im Raum steht. »Warum bist du gegangen, Sophie?«
Um Zeit zu gewinnen, greife ich nach meinem Glas und trinke einen Schluck, spüre, wie mir der Rotwein durch die Kehle rinnt, und fühle mich ein bisschen gestärkt.
»Wolltest du denn, dass ich bleibe?«
Meine Gegenfrage irritiert ihn sichtlich, denn seine Brauen schieben sich zusammen, und etwas huscht über sein Gesicht.
»Zumindest bin ich nicht davon ausgegangen, dass ich alleine aufwache und keine Ahnung habe, wo du geblieben bist«, erwidert er. »Aber ich hätte es mir denken können. Schließlich überraschst du mich nicht zum ersten Mal.«
Als ich den leisen Vorwurf in seiner Stimme höre, muss ich fast lachen, kann es aber in ein Lächeln abmildern. Ich überrasche ihn? Na dann, willkommen im Club, denke ich und blicke bedeutungsvoll auf sein Hemd, das ich trage – die Erinnerung daran, was vorhin passiert ist. »Dito.«
Ein flüchtiges Lächeln huscht über sein Gesicht, doch dann wird er wieder ernst. »Du bist mir ein Rätsel, Sophie. Normalerweise weiß ich bei Frauen immer, woran ich bin. Aber nicht bei dir. Dich kann ich überhaupt nicht einschätzen, und das macht mich«, er zögert, »ziemlich verrückt.«
Frustriert stößt er die Luft aus, und mir wird klar, dass das wahrscheinlich wirklich eine ganz neue Erfahrung für ihn ist, wenn man bedenkt, wie viele Frauen – von den Studentinnen an der Uni bis hin zu der Kellnerin im »Barrique« – ihn mit leuchtenden Augen anhimmeln. Was in deren Köpfen vorgeht, finde ich auch nicht so schwer zu erraten. Aber das ist ja genau das Problem, oder? Dass er die große Auswahl hat – aber keine Wahl treffen will. Und in dieser Hinsicht bin ich keine Ausnahme – oder?
Ich versuche meine nächste Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen. »Wenn du wissen wolltest, warum ich gegangen bin – wieso hast du dich denn dann nicht gemeldet? Du wusstest doch, wo du mich finden kannst.«
Seine Augen werden schmal. »Weil ich Frauen nicht nachlaufe«, erklärt er mir, und ich spüre einen Stich, weil seine Worte so hart klingen. Doch als ich gerade traurig darüber sein will, dass ich recht hatte – dass mit ihm sowieso nicht mehr möglich ist als eine ganz kurze Affäre – schüttelt er den Kopf, und ich sehe, dass der Ausdruck in seinen Augen gar nicht abweisend ist. Eher – verunsichert. »Ist sonst auch nicht nötig. Im Gegenteil. Normalerweise habe ich nach einer Nacht wie gestern das umgekehrte Problem – da gehen dann nämlich die Diskussionen los, weil Frauen immer eine Perspektive brauchen und wissen wollen, wie es weitergeht.« Er sieht mir in die Augen, forschend und eindringlich, und ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt. »Aber mit dir musste ich nichts diskutieren, du bist einfach verschwunden. Also war ich gezwungen, mir diesmal selbst Gedanken zu machen – seltsames Gefühl.« Um seine Lippen spielt jetzt ein selbstironisches Lächeln, doch ich erwidere es nicht, blicke ihn ernst an.
»Und – zu welchem Schluss bist du gekommen?«
»Zu keinem.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich plane nicht langfristig. Jedenfalls nicht mehr«, sagt er, und für eine halbe Sekunde liegt ein bitterer Zug um seinen Mund, der die kleine Flamme der Hoffnung erstickt, die kurz in mir aufgeflackert war. Das Lächeln fällt mir jetzt schwer.
»Aber ich tue das«, sage ich leise. »Ich habe Pläne, und einer davon sieht vor, dass ich sehr bald zurück nach London fliege.« Ich seufze, spüre den Stich, den es mir versetzt, das sagen zu müssen.
Er hebt die Brauen. »Und deshalb brauchst du keine Perspektive?«
Oh doch, denke ich. Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann fände ich eine Perspektive, irgendeine Möglichkeit, wie ich trotz allem länger mit Matteo zusammen sein kann, wirklich wundervoll. Aber ich bin Realistin. Und dafür braucht es im Übrigen immer zwei. Deshalb zucke ich nur mit den Schultern.
»Es gibt keine, oder?«, sage ich und gebe mir große Mühe, meiner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie traurig mich das macht. »Deshalb bin ich gegangen. Und … das sollte ich jetzt wohl auch lieber wieder tun.«
Tue ich aber nicht, sondern bleibe sitzen und blicke ihn angespannt an, warte darauf, nein, befürchte, dass er mir zustimmt. Doch er schweigt. Lange. Dann schließt er die Augen und schüttelt unwillig den Kopf, so als müsste er einen Gedanken verscheuchen, der
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