Verloren
ich sehr große Hoffnungen setze. Wir werden demnächst eine große Werksschau von ihm machen.«
Nur mit Mühe gelingt es mir, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten und mir nichts anmerken zu lassen, während ich das Werk pflichtschuldig betrachte. Es ist ein extrem verfremdeter Akt, wenn ich das richtig deute, aber total uninspiriert umgesetzt und viel zu plakativ, mit einer gewollt schreienden Farbgebung, die es auch nicht besser macht. Grottig. Gar nicht zu vergleichen mit den beiden della Torres. Was Lorenzo nicht aufzufallen scheint, der es fast verliebt betrachtet. Wieder denke ich an Matteo und seine Worte, und wieder muss ich ihm recht geben: Lorenzo ist auch ein Blender, was seinen Kunstverstand angeht. Kein Wunder, dass in der Galerie Werke hingen, die den Platz dort nicht verdient hatten.
»Gefällt es Ihnen?«
Lorenzos Stimme erklingt überraschend nah an meinem Ohr, und als ich mich zu ihm drehe, merke ich, wie dicht er neben mir steht. Doch anders als bei Matteo empfinde ich seine Nähe nur als aufdringlich.
Er lächelt, und das so eifrig und freundlich wie schon die ganze Zeit. Doch es liegt noch etwas in seinem Blick, eine Siegesgewissheit, die mich erschreckt. Denkt er, ich finde ihn attraktiv? Plötzlich wird mir bewusst, dass er mein Interesse an seiner Galerie und die Tatsache, dass ich auf seine Aufforderung hin tatsächlich zu seiner Party gekommen bin, auch falsch verstanden haben könnte. Deshalb mache ich betont einen großen Schritt zur Seite, um das vielleicht lieber noch mal klarzustellen. An seinem Lächeln ändert das allerdings nichts.
»Ich … also …«, setze ich an, weil er immer noch auf eine Antwort wartet. Aber mir fällt auf die Schnelle einfach nichts Positives ein, was ich über das Bild sagen könnte. Deshalb bin ich ziemlich erleichtert, dass Lorenzos Handy in diesem Moment klingelt und mich rettet.
Er entschuldigt sich und geht einige Schritte zurück in Richtung Treppe, um den Anruf entgegenzunehmen, und ich bleibe stehen, sehe weiter auf den grässlichen Akt und gähne hinter vorgehaltener Hand, schließe für eine Sekunde die Augen – was leider sofort wieder Matteos Bild in mir heraufbeschwört.
Unwillkürlich vergleiche ich Lorenzo mit ihm und komme zu einem Ergebnis, das nicht schmeichelhaft für meinen Gastgeber ist. Und das wird jetzt vermutlich immer so sein, denke ich mit einem Anflug von Verzweiflung. Wie soll ich je wieder jemanden finden, der an Matteo heranr …
Überrascht reiße ich die Augen wieder auf, weil ich es erneut höre, diesmal ganz deutlich.
Es war keine Einbildung. Da hat definitiv gerade jemand gestöhnt.
19
Es kommt aus dem Raum ganz hinten, dem letzten, bevor der Flur abbiegt – und dem einzigen, bei dem die Tür nicht geschlossen ist, sondern ein Stück aufsteht.
Ohne nachzudenken gehe ich darauf zu. Ich kann nicht anders, es ist wie ein Reflex, eine instinktive Neugier, der ich nachgeben muss.
Als ich näherkomme, höre ich auch schnelle Atemgeräusche und ein Rascheln, und wieder stöhnt jemand, aber es ist diesmal eine Männerstimme. Jetzt ahne ich, was ich gleich sehen werde, aber ich mache trotzdem diesen einen letzten Schritt noch und blicke durch die halb geöffnete Tür.
Das einzige Möbelstück, das ich im Raum erkennen kann, ist ein breites, mit einer grauen Tagesdecke bezogenes Bett. Darauf liegt niemand, doch dahinter, auf der von mir abgewandten Seite sitzt ein Mann. Nein, zwei Männer. Der eine, ein hellblonder junger Typ, vielleicht Mitte zwanzig, ist noch angezogen, jedenfalls so weit ich das erkennen kann, denn die untere Hälfte seines Körpers wird vom Bett verdeckt. Er lehnt mit dem Rücken an der Wand, seine Augen sind geschlossen und er stößt in diesem Moment wieder ein leises Stöhnen aus, drückt sich dabei von der Wand ab, so als würde er etwas kaum aushalten. Der zweite Mann, der etwas weiter weg am Bettende kniet, ist älter, bestimmt Mitte Vierzig und dunkelhaarig. Seine Brust ist nackt und ich nehme stark an, dass es der Rest von ihm auch ist, denn die Bewegungen, die er macht, sind ziemlich eindeutig: Er schiebt sich mit einem konzentrierten Blick rhythmisch vor und zurück, und er ist es auch, der so schnell atmet.
Mein Gehirn hat Schwierigkeiten, dieses Bild zu deuten, weil etwas zu fehlen scheint. Erst dann, verspätet, erkenne ich einen Kopf mit orangeroten Locken und die Rundungen eines Pos, die immer wieder kurz über dem Rand des Bettes auftauchen, und begreife, dass da noch
Weitere Kostenlose Bücher