Verlorene Eier
Rechenmaschinen und Kartons voller Puppenköpfe mit Beschlag belegt wird, ist mit feuchten Bücherstapeln vollgestellt – Handbücher für längst ausgestorbene Computersprachen, Romane aus den Dreißigern und Vierzigern, die kein Mensch lesen will, russisch-orthodoxe Bibeln, Telefonbücher von 1962 aus dem Bezirk North Staffordshire – ich denke, Sie verstehen, was ich meine.
Niemand weiß, wieso Tom diesen Plunder sammelt, denn verkaufen lässt sich das Zeug garantiert nicht. Wenn ich ihn frage, ob er mir eines seiner Taschenbücher überlässt, muss ich ihm sogar einen Schein in die Gichtfinger drücken. »In schlechten Zeiten werde ich froh sein, wenn ich das Zeug habe«, ist die einzige Erklärung, die er jemals dazu abgegeben hat, was zumindest im Fall der Puppenköpfe ziemlich unwahrscheinlich ist.
Mit seinen Hängebacken und den leuchtend kornblumenblauen Augen unter dichten grauen Brauen erinnert er mich stets an einen pensionierten Professor für antike Geschichte, dem das Leben übel mitgespielt hat. Wie gewohnt trägt er seinen alten grauen Gabardinemantel, der in der Taille von einer Schnur zusammengehalten wird. Für seine einundsiebzig ist er noch ziemlich gut in Form, das muss man ihm lassen. Oder achtundsiebzig. Oder sechsundachtzig. Oder wie alt er auch immer sein mag. Auf jegliche Fragen in diese Richtung reagiert er ziemlich ausweichend. »Das kann keiner so genau sagen«, erwiderte er, als ich ihn eines Tages darauf ansprach. »All meine persönlichen Dokumente sind bei einer Überschwemmung verloren gegangen.«
Es wäre schön, wenn man behaupten könnte, dass er nette Geschichten von der guten alten Zeit erzählt, doch in aller Regel faselt er irgendetwas daher, ohne auf ein schlüssiges Ende zuzusteuern. Gab es jemals eine Frau in seinem Leben? Kinder? Vermutlich nicht. Er wirkt wie jemand, der sich selbst mehr als genug ist. Als Claire mich verlassen hatte und ich in meine persönliche Krise stürzte, sah ich Tom sogar als potenzielles Vorbild für meine weitere Zukunft – ein lebendes Beispiel dafür, wie man sich als alleinstehender Mann durchschlug. Tom verströmte eine Aura tiefer Zufriedenheit, ja sogar Weisheit. Von Tom Cutler konnte man einiges lernen, wenn man sich mit ihm befasste – und nicht nur, wie ein Mensch rund dreitausend Landkarten von Jütland brauchen konnte.
Vor ein paar Monaten war ich morgens bei ihm vorbeigefahren, um ein wenig in seiner modrigen Literatursammlung zu wühlen, als er sein stoisches Schweigen brach und eine schockierende Mitteilung machte. Wie üblich kam er nicht sofort zur Sache, sondern näherte sich dem Thema von einer anderen Seite.
»Warst du schon mal in Lampeter?«, erkundigte er sich. (Es war eine echte Überraschung, so etwas wie eine direkte Frage von ihm gestellt zu bekommen.)
»Das kann ich nicht gerade behaupten, Tom«, antwortete ich. (Dies ist die typische Sprechweise in Shropshire. In London hätte man schlicht Nein gesagt. Oder demjenigen, der fragt, gleich eins auf die Mütze gegeben.) Er nickte und verfiel wieder in Schweigen. »Wieso willst du das wissen?«, hakte ich nach.
»Nur so.«
»Überlegst du, dorthin zu ziehen?«
»Nicht wenn ich es vermeiden kann.«
»Lampeter, das liegt doch in Wales, stimmt’s?«
»Ja, so heißt es.«
»Kennst du jemanden dort, Tom?«
»Da war so ein Junge hier. Am Samstag. Sehr fett. Viel zu jung, um schon so fett zu sein. Der suchte nach Autokühlern. Und faselte endlos über Lampeter. Wie schön es dort wäre. Na ja. Ich habe ihm erzählt, ich sei im Krieg dort gewesen.«
Ich lachte. Mittlerweile erkannte ich einen Tom-Witz, wenn ich einen hörte.
»Und?«
»Na ja, er zieht rüber. Mit seinem Transporter. Dieser Fettsack. Er hat’s mir empfohlen. Schwierigkeiten mit der Sprache gäb’s auch keine, hat er gemeint. Da drüben würden alle Englisch sprechen. Ich müsste noch nicht mal Walisisch lernen.«
Dies war der längste Dialog, den ich je mit Tom geführt hatte. »Aber du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach, dorthin zu ziehen, oder?«
Er zog einen gefütterten braunen Umschlag aus den Tiefen seiner Manteltasche und reichte ihn mir. Sein Daumennagel sah aus, als bestünde er aus dickem Horn.
»Tom … Scheiße …«
RÄUMUNGSBEFEHL stand dort. Es war das offizielle Schreiben der Anwälte der Erbengemeinschaft, die Besitzer von Toms Haus und des Großteils des Gebiets um sein Grundstück herum ist. Nach dem traurigen Ableben des einstigen Earls hatte der
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