Verlorene Eier
eine Baufirma in Birmingham beteiligt gewesen.
Caerwen selbst hat nur wenig Erhellung in die Frage nach den Brüdern und ihrer faszinierenden Gewohnheit gebracht, abwechselnd mit dem einen und dem anderen herumzumachen. »Sieht fast so aus, als könnte ich mich nicht entscheiden, was?«, sagt sie meist. Und selbst wenn sich die Urquhart-Brüder an diesem Arrangement stören sollten – was vor allem in der Phase des »Wechsels« durchaus nachvollziehbar wäre –, so schweigen sie sich ebenso eisern darüber aus wie über jedes andere Thema; mit Ausnahme über den unaufhörlichen Anstieg der Benzinpreise vielleicht.
Es hat durchaus seine Gründe, weshalb ich mich so ausführlich über Caerwen Griffiths und ihre Lebensumstände auslasse, denn wie sich herausstellte, gehört sie zu jenen Schlüsselpersonen, die zwar nur eine Nebenrolle in meiner Geschichte spielen, für ihren Verlauf jedoch von wesentlicher Bedeutung sind. Ich habe keine Ahnung, ob ich ohne Caerwen jemals Autor für Liebesromane geworden wäre. Fest steht jedenfalls, dass ich ohne sie diese Geschichte nicht erzählen würde. Und Sie würden folglich nicht dieses Buch in Händen halten und sie lesen.
Solange ich lebe, werde ich mich daran erinnern, wie wir uns kennengelernt haben, denn die Narbe ist immer noch deutlich auf dem Knöchel meines rechten Mittelfingers sichtbar. In der Unfallstation des Oswestry General Hospital herrschte reger Betrieb für einen Freitagabend im Februar – die übliche bunte Truppe aus Opfern von Schlägereien, Drogenexzessen oder häuslicher Gewalt hatte sich auf den orangefarbenen Plastikstühlen eingefunden und wartete auf den Arzt oder auf den Tod, je nachdem, was schneller zur Stelle war. Die blutjunge Schwester, die die Dringlichkeit der eingehenden Fälle an diesem Abend einschätzen sollte, war zu dem Schluss gekommen, dass meine Wunde zwar tief und schmerzhaft, jedoch nicht unmittelbar lebensbedrohlich war. Deshalb dauerte es sehr, sehr lange, bis ich endlich in einen Behandlungsraum gerufen wurde, wo ich mich auf eine Pritsche legen und auf das Eintreffen der Kavallerie warten sollte.
»Na, Herzchen, was haben wir denn hier?« Ich hob den Kopf, als Schwester Caerwen Griffiths hereingerauscht kam. Ein Namensschild und eine auf dem Kopf stehende Uhr zierten ihr dramatisches und bemerkenswert volles Dekolleté – dank ihres gewaltigen Vorbaus konnte sie jederzeit mühelos erkennen, wie spät es gerade war.
»Nein, verraten Sie es mir nicht«, dröhnte sie, packte meine verwundete Pfote und begutachtete sie von allen Seiten. »Ich sollte erst mal den anderen sehen, stimmt’s?«
»Aber ich habe mich gar nicht geprügelt«, protestierte ich.
»Und ich bin Florence Nightingale. Also, dann wollen wir mal nähen.«
»Nein, ehrlich. Das war ein Haushaltsunfall.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte sie und kramte in ihren Nähutensilien. »Sie haben ein bisschen Heimwerker gespielt. Regale selbst montieren und so, und dann haben Sie sich den Schraubenzieher in die Hand gerammt.«
Ihr walisischer Akzent entlockte mir ein Lächeln.
»Nein! Jetzt weiß ich’s. Sie sind aufs Dach geklettert und haben an der Antenne herumgespielt.« Wieder musste ich lächeln. »Ach ja, das wird jetzt gleich höllisch wehtun. Schreien Sie also ruhig wie ein Baby.«
Ein Glück, dass ich mir während der letzten Stunden bereits eine knappe Flasche Wodka hinter die Binde gekippt hatte, was überhaupt erst zu diesem Vorfall geführt hatte. Obwohl ich nichts spürte, als sie sich mit Nadel und Faden ans Werk machte, kränkte es mich doch, dass sie mich für einen skrupellosen Schläger hielt. Na gut, sie hatte offenbar mitbekommen, dass Alkohol im Spiel gewesen war, aber sah ich etwa wie der typische Oswestry-Prolet nach acht Bieren und einem triefenden Kebab aus? Andererseits schämte ich mich zu sehr, ihr die Wahrheit zu erzählen: Ich hatte nicht auf jemanden eingeschlagen, sondern auf etwas . Auf eine Wand, genauer gesagt. In meinem Haus. Am oberen Absatz der Treppe zum Schlafzimmer. Aber warum hatte ich mich an einer unschuldigen Wand vergriffen (und dabei ein faustgroßes Loch in den Putz geschlagen, was die Frage aufwarf, wer bei dem Disput schlechter weggekommen war)? Ich hatte es aus Wut und Reue getan (und weil ich eine Flasche Wodka intus hatte).
Aber weshalb war ich dann so voller Wut und Reue?
Abgrundtiefer Seufzer.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie die ganze traurige Geschichte hören wollen, wie ich meine Frau
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