Verlorene Illusionen (German Edition)
Könige entstellt darstellen, beseitigen. Wagen Sie es in Ihrem ersten Werk, die große und prächtige Gestalt der Katharina von Medici, die Sie den über sie noch im Umlauf befindlichen Vorurteilen geopfert haben, wiederherzustellen. Schildern Sie endlich Karl IX., wie er war, und nicht, wie ihn die protestantischen Schriftsteller hingestellt haben. Nach zehn Jahren ausdauernder Arbeit werden Ihnen Ruhm und Glück blühen.«
Es war jetzt neun Uhr. Lucien zeigte sich ebenso edelmütig, wie sein künftiger Freund, ohne daß er es wußte, am Vormittag gewesen war, und bot ihm an, mit ihm bei Edon zu essen, wo er zwölf Franken ausgab. Während dieses Abendessens vertraute Daniel Lucien das Geheimnis seiner Hoffnungen und seiner Studien an. D'Arthez erkannte kein außerordentliches Talent an, das nicht tiefe metaphysische Kenntnisse besaß. Er machte jetzt gerade Exzerpte aus allen philosophischen Schätzen der alten und neuen Zeit, um sie sich anzueignen. Er wollte, wie Molière, ein tiefer Philosoph sein, ehe er Komödien schrieb. Er studierte die geschriebene und die lebendige Welt, die Welt des Denkens und der Tatsachen. Er hatte gelehrte Naturforscher, junge Mediziner, politische Schriftsteller und Künstler zu Freunden, eine Gesellschaft von eifrigen, ernsthaften jungen Männern voller Zukunft. Er lebte von gewissenhaften und schlecht bezahlten Artikeln für biographische, enzyklopädische oder naturwissenschaftliche Lexika, von denen er nur so viele schrieb, als nötig war, um sein Leben zu fristen und denken zu können. D'Arthez arbeitete an einem Roman, den er nur begonnen hatte, um die Möglichkeiten der Sprache zu studieren. Dieses Buch, das noch unvollendet war und das er nach Laune vornahm oder liegen ließ, wollte er für die Tage der großen Not aufbewahren. Es war in Form eines Romans ein psychologisches Werk von großer Tragweite. Obwohl Daniel sehr bescheiden von sich und seinem Schaffen sprach, schien er Lucien ein Riese. Als sie um elf Uhr das Restaurant verließen, hatte Lucien für diese Tugend ohne Pathos, für diesen Charakter, der gar nicht wußte, wie erhaben er war, eine lebhafte Freundschaft gefaßt. Der Dichter mäkelte nicht an den Ratschlägen Daniels, er befolgte sie buchstäblich. Dieses schöne Talent, das schon durch das Nachdenken und durch eine einsiedlerische, nicht für die Öffentlichkeit, nur für ihn selbst bestimmte Kritik gereift war, hatte ihm mit einem Male das Tor zu den herrlichsten Phantasieschlössern eröffnet. Die Lippen des Provinzialen waren mit glühender Kohle berührt worden, und das Wort des Pariser Forschers fand in dem Hirn des Dichters von Angoulême einen gut vorbereiteten Boden. Lucien ging daran, sein Werk von Grund aus umzuarbeiten.
Unser großer Mann aus der Provinz, der glücklich war, in der Wüste von Paris ein Herz und ein edles Gemüt gefunden zu haben, das mit seinem harmonierte, tat, was alle jungen Leute tun, die nach Freundschaft dürsten: er klammerte sich wie eine chronische Krankheit an d'Arthez, er holte ihn ab, um mit ihm zur Bibliothek zu gehen, ging mit ihm an schönen Tagen im Luxembourg spazieren, aß mit ihm bei Flicoteaux und begleitete ihn dann jeden Abend bis zu seiner armseligen Wohnung, kurz, er drängte sich an ihn, wie ein Soldat in den eisigen Steppen Rußlands sich an seinen Nachbar drängte. Während der ersten Tage seiner Bekanntschaft mit Daniel bemerkte Lucien nicht ohne Kummer, wenn die Intimen beisammen waren, eine gewisse Verlegenheit, die durch seine Anwesenheit verursacht war. Die Unterhaltungen dieser überlegenen Männer, von denen ihm d'Arthez mit starker Begeisterung sprach, hielten sich in den Schranken einer Zurückhaltung, die zu den deutlichen Zeichen ihrer lebhaften Freundschaft nicht stimmen wollte. Lucien ging dann diskret fort, nicht ohne eine Art Schmerz über seine Verbannung und auch über die unbefriedigte Neugier, die diese Unbekannten in ihm erregten; denn alle nannten sich mit ihren Vornamen. Alle trugen wie d'Arlhez auf der Stirn das Siegel des Forschungsgeistes. Nach geheimen Kämpfen, die Daniel, ohne daß es Lucien wußte, zu seinen Gunsten führen mußte, wurde er endlich würdig befunden, in diese Versammlung großer Geister aufgenommen zu werden. Lucien war von jetzt an in der Lage, diesen Personen näherzutreten, die durch die lebhaftesten Sympathien, durch den Ernst ihres geistigen Daseins miteinander verbunden waren und die sich fast jeden Abend bei d'Arthez versammelten. Alle ahnten in
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