Verlorene Illusionen (German Edition)
diesem den großen Schriftsteller: sie betrachteten ihn als ihren Führer, seitdem sie einen der außerordentlichsten Geister dieser Zeit, ein mystisches Genie, ihren früheren Führer, verloren hatten, der aus Gründen, die nicht hierher gehören, in seine Provinz zurückgekehrt war und von dem Lucien oft unter dem Namen Louis sprechen hörte. Man wird verstehen, wie diese bedeutenden Menschen das Interesse und die Neugier eines Dichters erregen mußten, wenn man sich an die unter ihnen erinnert, die seitdem, wie d'Arthez, den Vollglanz ihres Ruhmes erreicht haben; denn mehrere gingen unter.
Unter denen, die noch leben, befand sich Horace Bianchon, der damals Assistenzarzt am Hôtel-Dieu, dem größten Pariser Krankenhaus, war und seitdem eine der Leuchten der Pariser Schule und zu bekannt geworden ist, als daß es nötig wäre, seine Person zu schildern oder von seinem Charakter und der Natur seines Geistes des längeren zu sprechen. Dann kam Lion Giraud, dieser tiefe Philosoph, dieser kühne Theoretiker, der alle Systeme aufrührt, sie richtet, zum Ausdruck bringt, formuliert und zu Füßen seines Abgotts, der Menschheit, schleppt: immer groß, selbst in seinen Irrtümern, die durch seinen guten Glauben geadelt werden. Dieser unermüdliche Forscher, dieser gewissenhafte Gelehrte ist das Haupt einer moralischen und politischen Schule geworden, über deren Verdienst die Zeit allein urteilen kann. Wenn seine Überzeugungen ihm ein Schicksal in Regionen bereiteten, die denen seiner Kameraden fremd blieben, so ist er nichtsdestoweniger ihr treuer Freund geblieben. Die Kunst war durch Joseph Bridau, einen der besten Maler der jungen Schule, vertreten. Wenn das geheime Unglück nicht wäre, zu dem ihn eine zu eindrucksfähige Natur verdammt, hätte Joseph, dessen letztes Wort übrigens noch nicht gesprochen ist, ein Fortführer der großen Meister der italienischen Schule werden können: er hat die Zeichnung der Römer und die Farbe der Venezianer; aber die Liebe tötet ihn und durchbohrt nicht nur sein Herz, die Liebe schleudert ihm ihre Pfeile ins Hirn, bringt sein Leben in Unordnung und veranlaßt ihn zu den absonderlichsten Querzügen. Wenn seine jeweilige Geliebte ihn zu glücklich oder zu elend macht, schickt Joseph entweder Skizzen, auf denen die Farbe die ganze Zeichnung undeutlich macht, oder Bilder zur Ausstellung, die er unter der Last der eingebildeten Schmerzen vollenden wollte und auf denen ihn die Zeichnung so vorwiegend beschäftigt hat, daß die Farbe, die er willkürlich anbringt, kaum zu erkennen ist. Er täuscht fortwährend sowohl das Publikum wie seine Freunde. Hoffmann hätte ihn wegen seiner witzigen Einfälle, die er, kühn genug, in seiner Kunst zum Ausdruck brachte, wegen seiner Launen und seiner Phantasie angebetet. Wenn er ganz er selbst ist, erntet er Bewunderung, läßt sie sich gut schmecken und ist dann verwundert, wenn er für die mißglückten Werke kein Lob erfährt, in denen die Augen seiner Seele alles sehen, was für das Auge des Publikums nicht vorhanden ist. Er ist im höchsten Maße grillenhaft, und seine Freunde haben ihn ein fertiges Bild vernichten sehen, auf dem er die Luft zu deutlich gemalt fand. »Zu fertig,« sagte er, »zu schülerhaft!« Immer originell und manchmal wundervoll, hat er das ganze Glück und das ganze Unglück nervöser Naturen, bei denen die Vollkommenheit in Krankheit ausartet. Sein Geist ist der Bruder von Sternes Geist, obwohl er sich nicht literarisch betätigt. Seine Worte, seine Einfälle sind unerhört köstlich. Er ist beredt und weiß zu lieben, aber nie ohne Launen, die er ebenso in das Empfindungsleben wie in sein Schaffen trägt. Er war dem Zirkel genau um der Eigenschaften willen lieb, die die bürgerliche Welt seine Fehler genannt hätte. Endlich war da Fulgence Ridal, einer der Schriftsteller unserer Zeit, die die seltene komische Ader haben, ein Dichter, der sich um den Ruhm nicht kümmerte und auf das Theater nur seine vulgärsten Produkte brachte, während er die entzückendsten Szenen in der Geheimkammer seines Hirns für sich selbst oder für seine Freunde bewahrte; der vom Publikum nur so viel Geld verlangte, wie er für seine Unabhängigkeit brauchte, und der nichts mehr tun wollte, sowie er es hätte. Er war faul und fruchtbar wie Rossini, war, wie die großen komischen Dichter, wie Molière und Rabelais, genötigt, alle Dinge von beiden Seiten zu betrachten, er war Skeptiker, konnte lachen und lachte über alles. Fulgence Ridal
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