Verlorene Illusionen (German Edition)
können, die ich Dir zuschicke. Sei nicht böse darüber, daß ich auf Deinen ersten Brief nicht geantwortet habe. Unsere Lage war so, daß ich die Nächte durchwachen mußte, ich habe wie ein Mann gearbeitet. Oh! ich wußte nicht, daß ich so viel Kraft habe. Frau von Bargeton ist eine herzlose und seelenlose Frau; selbst wenn sie Dich nicht mehr liebte, war sie es sich selber schuldig, Dich zu schützen und Dir beizustehen, nachdem sie Dich aus unsern Armen gerissen und Dich in diesen entsetzlichen Ozean Paris geworfen hat, wo es des Segens Gottes bedarf, um in diesen furchtbaren Wogen von Menschen und Interessen wahre Freundschaft zu treffen. Du brauchst ihr nicht nachzutrauern. Ich hatte gewünscht, daß Du ein hingebendes weibliches Wesen, eine, die mir gleicht, für Dich fändest, aber jetzt, wo ich weiß, daß Du Freunde hast, die uns ersetzen, bin ich ruhig. Entfalte Deine Schwingen, mein Schöner, Großer, Geliebter! Du sollst unser Ruhm werden, wie Du jetzt unsere Liebe bist.
Eva.«
»Mein geliebtes Kind! Nach dem, was Dir Deine Schwester geschrieben hat, kann ich Dich nur segnen und Dir versichern, daß meine Gebete und meine Gedanken zum Nachteil derer, die ich um mich sehe, nur Dir geweiht sind; denn es gibt Herzen, in denen nur die Abwesenden herrschen, und so ist es mit dem Herzen
Deiner Mutter.«
So konnte also Lucien zwei Tage später seinen Freunden das Darlehn, das sie ihm so liebreich dargeboten hatten, zurückbringen. Nie vielleicht war ihm das Leben schöner erschienen, aber die Regung seiner Eigenliebe entging den scharfen Blicken und dem sensiblen Wesen seiner Freunde nicht.
»Es sieht so aus, als hättest du Angst, uns etwas schuldig zu sein«, rief Fulgence.
»Oh, das Vergnügen, das er an den Tag legt, ist in meinen Augen eine ernste Sache«, sagte Michel Chrestien; »es bestätigt, was ich schon beobachtet habe: Lucien ist eitel.«
»Er ist ein Dichter«, sagte d'Arthez. »Wollt ihr mir eines Gefühles wegen böse sein, das so natürlich ist?«
»Man muß ihm zugute halten, daß er es uns nicht verborgen hat,« sagte Léon Giraud, »er ist noch offen; aber ich fürchte, später wird er Angst vor uns haben.«
»Warum das?« fragte Lucien. »Wir lesen in deinem Herzen«, erwiderte Joseph Bridau. »Es lebt in dir«, sagte Michel Chrestien zu ihm, »ein teuflischer Geist, mit Hilfe dessen du in deinen eigenen Augen Dinge rechtfertigen wirst, die unsern Prinzipien ganz entgegengesetzt sind. Du wirst ein Sophist sein, nicht in deinen Ideen, aber in den Handlungen.«
»Ah! ich fürchte es auch«, sagte d'Arthez. »Lucien, du wirst in deinem Innern großartige Erwägungen anstellen, in denen du als großer Mann dastehst, und ihr Ergebnis wird ein Tun sein, das zu tadeln ist ... Du wirst nie in Übereinstimmung mit dir selbst sein.«
»Worauf stützt ihr denn eure Anklage?« fragte Lucien. »Deine Eitelkeit, mein lieber Dichter, ist so groß, daß du sie sogar in deine Freundschaft hineinbringst«, rief Fulgence. »Alle Eitelkeit dieser Art verrät einen schrecklichen Egoismus und tötet die Freundschaft.«
»O mein Gott!« rief Lucien, »wißt ihr denn nicht, wie ich euch liebe?«
»Wenn du uns liebtest, wie wir uns untereinander, hättest du dich dann mit solchem Pathos beeilt, uns zurückzuerstatten, was wir dir mit solchem Vergnügen gegeben haben?«
»Hier wird nicht geliehen, hier wird gegeben«, sagte Joseph Bridau rauh zu ihm. »Halte uns nicht für grausam, lieber Junge,« sagte Michel Chrestien, »wir sind nur Menschen, die voraussehen. Wir haben Angst, du könntest eines Tages die Freuden einer kleinen Rache den Freuden unserer reinen Freundschaft vorziehen. Lies den ›Tasso‹ von Goethe, das größte Werk dieses schönen Geistes, da erfährst du, daß der Dichter die glänzenden Stoffe, die Feste, die Triumphe, den schönen Schein liebt: sei du Tasso ohne seine Narrheit. Die Welt und ihre Vergnügungen rufen dich! Bleibe hier... übertrage alles, was du an nichtigen Dingen begehrst, in den Bereich der Ideen. Muß es schon eine Narrheit sein, dann laß deine Handlungen tugendhaft und deine Ideen frevlerisch sein, anstatt, wie es dir d'Arthez voraussagte, gut zu denken und dich schlecht zu benehmen.« Lucien ließ den Kopf hängen: seine Freunde hatten recht. »Ich gestehe, ich bin nicht so stark wie ihr«, sagte er und warf ihnen einen entzückenden Blick zu. »Ich habe nicht Hüften und Schultern, um Paris zu tragen, um tapfer zu kämpfen. Die Natur hat uns
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