Verlorene Illusionen (German Edition)
er aus seiner besonderen wissenschaftlichen Tätigkeit zog, genügt es, die Antworten mitzuteilen, die Lucien am Tag darauf auf einen Brief bekam, den er an seine Familie geschrieben hatte; es war ein Meisterstück der Empfindung und des Vertrauens gewesen, ein schrecklicher Schrei, den ihm seine Not entpreßt hatte:
David Séchard an Lucien
»Lieber Lucien! Beiliegend findest Du einen Wechsel, nach neunzig Tagen zahlbar, auf Deine Order über zweihundert Franken. Du kannst ihn bei Herrn Métivier, Papierhändler, unserm Geschäftsfreund in Paris in der Rue Serpente, umsetzen. Lieber Lucien, wir haben absolut nichts. Meine Frau hat die Leitung der Druckerei übernommen und entledigt sich ihrer Aufgabe mit einer solchen Hingabe, Geduld und Energie, daß ich den Himmel segnen muß, der mir einen solchen Engel zum Weibe gegeben hat. Sie selbst hat festgestellt, daß es unmöglich für uns ist, Dir den geringsten Beistand zu leisten. Aber, mein Freund, ich sehe Dich auf einem so guten Wege, Du wirst auf ihm von so großen und edlen Seelen begleitet, daß Du, unterstützt von solchen fast göttlichen Köpfen, wie die Herren Daniel d'Arthez, Michel Chrestien und Léon Giraud, beraten von den Herren Bianchon, Meyraux und Ridal, die wir alle aus Deinem lieben Brief kennen gelernt haben, Dein schönes Ziel sicher erreichen wirst. Ohne daß es Eva weiß, habe ich also diesen Wechsel unterschrieben, den ich am Tage der Fälligkeit irgendwie hoffe einlösen zu können. Geh nicht von Deinem Wege ab: er ist rauh, aber er wird ruhmvoll sein. Ich würde lieber tausend Übel erleiden, als daß ich denken müßte, Du wärest in dem Morast von Paris versunken, in den ich so viele habe fallen sehen. Habe den Mut, wie Du es tust, die schlechten Orte, die bösen Menschen, die Leichtsinnigen und gewisse Literaten zu meiden, die ich während meines Aufenthalts in Paris ihrem wahren Wesen nach kennen gelernt habe. Kurz, sei der würdige Jünger der vortrefflichen Geister, die Du meinem Herzen nahegebracht hast. Dein Verhalten wird bald seinen Lohn finden. Leb wohl, geliebter Bruder; Du hast mir das Herz erquickt, ich hatte von Dir nicht soviel Mut erwartet.
David.«
Eva Séchard an Lucien
»Mein Freund! Dein Brief hat uns alle zum Weinen gebracht. Die edlen Herzen, zu denen Dich Dein guter Engel geleitet hat, sollen es wissen: eine Mutter, eine arme junge Frau beten abends und morgens für sie; und wenn die glühendsten Gebete bis zu Gottes Thron dringen können, dann wird es ihnen allen wohlergehn. Ja, lieber Bruder, ihre Namen sind in mein Herz eingegraben. Oh! ich werde sie eines Tages kennen lernen. Ich werde, und müßte ich zu Fuß gehen, ihnen für ihre Freundschaft zu Dir danken, denn sie war wie ein Balsam auf meine Wunden. Hier, mein Lieber, arbeiten wir als arme Handwerker. Mein Mann, dieser unbekannte große Mann, den ich jeden Tag mehr liebe, weil ich immer neue Schätze in seinem Herzen entdecke, vernachlässigt seine Druckerei, und ich ahne warum: Deine und unsere Not und die unserer Mutter würgen an ihm. Unser geliebter David wird, wie Prometheus, von einem Geier zerfleischt, von einem bittern Kummer mit scharfem Schnabel. An sich selbst denkt der Edle fast gar nicht, er hofft auf ein großes Vermögen. Er verbringt den ganzen Tag damit, Experimente über die Herstellung des Papiers zu machen; er hat mich gebeten, mich an seiner Stelle um die Geschäfte zu kümmern, in denen er mich unterstützt, soweit es seine Beschäftigung zuläßt. Leider, muß ich sagen, bin ich guter Hoffnung. Dieses Ereignis, das mich überglücklich gemacht hätte, betrübt mich in der Lage, in der wir uns befinden. Meine arme Mutter ist wieder jung geworden, sie hat neue Kräfte für ihren anstrengenden Beruf als Krankenpflegerin gefunden. Wenn wir keine Geldsorgen hätten, wären wir glücklich. Der alte Séchard will seinem Sohn keinen Heller geben; David war zu ihm gegangen, eine Kleinigkeit bei ihm zu borgen, um Dir helfen zu können, denn Dein Brief hatte ihn ganz verzweifelt gemacht. ›Ich kenne Lucien, er wird den Kopf verlieren und Dummheiten machen‹, sagte er. Ich habe sehr mit ihm gescholten. ›Mein Bruder sollte sich irgendwie verfehlen?‹ habe ich ihm geantwortet. ›Lucien weiß, daß ich darüber vor Kummer stürbe.‹ Mutter und ich haben, ohne daß David es ahnt, einige Sachen versetzt; Mutter wird sie wieder einlösen, sowie sie etwas Geld eingenommen hat. Wir haben auf diese Weise also hundert Franken schaffen
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