Verlorene Illusionen (German Edition)
verschiedene Temperamente und Fähigkeiten gegeben, und ihr kennt besser als einer die Kehrseite der Laster und Tugenden. Ich bin schon müde, ich gestehe es euch.«
»Wir werden dich stützen,« sagte d'Arthez, »gerade dazu hat man treue Freunde.«
»Die Hilfe, die ich eben erhalten habe, reicht nicht weit, und wir sind alle miteinander gleich arm; ich werde bald wieder Not leiden. Chrestien, der sich dem ersten besten verdingen muß, hat keinen Einfluß auf Verleger. Bianchon hat nichts mit diesen Geschäften zu tun. D'Arthez kennt nur wissenschaftliche oder Spezialverleger, die mit den Herausgebern von Neuerscheinungen keine Berührung haben. Horace, Fulgence Ridal und Bridau arbeiten auf einem Gebiet, das sie meilenweit von Buchhändlern fernhält. Ich muß einen Entschluß fassen.«
»Fasse doch unsern,« sagte Bianchon, »leiden und aushalten! Tapfer leiden und unermüdlich arbeiten.«
»Aber was für euch nur Leiden ist, ist für mich Tod«, rief Lucien lebhaft.
»Ehe der Hahn dreimal kräht,« sagte Léon Giraud lächelnd, »wird der Mensch die Sache der Arbeit für die der Faulheit und der Laster von Paris verraten haben.«
»Wie weit habt ihrs mit der Arbeit gebracht?« fragte Lucien lachend.
»Wenn man von Paris nach Italien reist, findet man Rom nicht halbwegs«, erwiderte Joseph Bridau. »Für dich müßten die Erbsen fertig zubereitet und in Butter gedämpft wachsen.«
»Das tun sie nur für die Erstgebornen der Pairs von Frankreich«, sagte Michel Chrestien. »Wir andern säen sie, begießen sie, und sie schmecken uns besser.«
Die Unterhaltung wurde scherzhaft und ging auf andere Gegenstände über. Diese Männer mit scharfem Geist und zartem Empfinden bemühten sich, Lucien den kleinen Streit vergessen zu lassen. Er wußte von jetzt an, wie schwer es wäre, sie zu täuschen. Er langte bald bei einer innern Verzweiflung an, die er sorgfältig vor seinen Freunden verbarg, da er sie für unversöhnliche und gestrenge Richter hielt. Sein südländischer Geist, der die Skala der Gefühle so leicht durcheilte, brachte ihn zu den entgegengesetztesten Entschlüssen.
Mehrere Male sprach er davon, die journalistische Laufbahn einzuschlagen, und immer sagten ihm seine Freunde: »Hüte dich davor!«
»Das wäre das Grab des schönen, anmutigen Lucien, den wir lieben und kennen«, sagte d'Arthez. »Du könntest dem fortwährenden Gegensatz von Vergnügen und Arbeit im Dasein des Journalisten nicht widerstehen; und widerstehen ist die Grundlage aller Tugend. Du wärst so entzückt, Macht auszuüben über die Werke des Gedankens, Justiz zu üben, daß du in zwei Monaten Journalist wärst. Journalist sein, das heißt in der Republik der Geister Prokonsul werden. Wer alles sagen darf, gelangt dazu, alles zu tun! Diese Maxime stammt von Napoleon, und sie versteht sich von selbst.«
»Werdet denn ihr nicht bei mir sein?« fragte Lucien.
»Nein, nicht mehr«, rief Fulgence. »Wenn du Journalist bist, denkst du ebensowenig mehr an uns, wie eine glänzende und berühmte Opernsängerin in ihrem seidengefütterten Wagen an ihr Dorf, ihre Holzschuhe und ihre Kühe denkt. Du hast die Eigenschaften des Journalisten nur zu sehr: den Glanz und die Schnelligkeit des Denkens. Du wirst niemals einen witzigen Einfall unterdrücken, gleichviel ob du einem Freund damit weh tust. Ich sehe die Journalisten in den Foyers der Theater, sie sind mir grauenhaft. Der Journalismus ist eine Hölle, ein Abgrund von Ungerechtigkeit, Lüge und Verrat, den man nur durchschreiten und aus dem man nur dann hervorsteigen kann, wenn man wie Dante von dem göttlichen Lorbeer Virgils geschützt wird.«
Je mehr der Zirkel Lucien von diesem Weg abbringen wollte, um so mehr verlockte ihn seine Lust, die Gefahr kennen zu lernen, es mit ihm zu wagen; und er fing an, bei sich selbst zu erwägen: ›Wäre es nicht lächerlich, sich noch einmal vom Mangel überraschen zu lassen, ohne etwas gegen ihn getan zu haben?‹ Angesichts des Mißerfolgs seiner Schritte zur Unterbringung seines ersten Romans hatte Lucien wenig Neigung, einen zweiten zu schreiben. Wovon sollte er überdies in der Zeit, während er ihn schriebe, leben? Seinen Vorrat Geduld hatte er in dem einen Monat der Entbehrungen erschöpft. Konnte er nicht in vornehmer Weise tun, was die Journalisten gewissenlos und würdelos taten? Seine Freunde beleidigten ihn mit ihrem Mißtrauen, er wollte ihnen die Stärke seines Geistes beweisen. Vielleicht könnte er ihnen eines Tages nützlich
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