Verlorene Illusionen (German Edition)
antwortete der Drogist.
»Gut denn, ich werde den kleinen Lousteau ansehen«, erwiderte sie.
In den Korridoren ertönte eine Glocke.
»Ihr müßt alle fortgehen,« sagte Florine, »ich muß meine Rolle überlesen und suchen, sie zu verstehen.«
Lucien und Lousteau waren die letzten, die hinausgingen. Lousteau küßte Florine auf die Schulter, und Lucien hörte, wie die Schauspielerin sagte:
»Heute abend unmöglich. Das alte Schaf hat seiner Frau gesagt, er ginge aufs Land.«
»Finden Sie sie hübsch?« fragte Etienne Lucien.
»Aber, mein Bester, dieser Matifat...« rief Lucien.
»Ach, mein liebes Kind, Sie kennen das Pariser Leben noch nicht,« antwortete ihm Lousteau, »es gibt Notwendigkeiten, denen man sich fügen muß! Es ist geradeso, wie wenn Sie eine verheiratete Frau liebten. Man findet sich darein.«
Etienne und Lucien gingen in eine Proszeniumsloge im Parterre, wo sie den Theaterdirektor und Finot vorfanden. Ihnen gegenüber in einer Loge saß Matifat mit einem seiner Freunde namens Camusot, einem Seidenhändler, der der Freund Coralies war; in ihrer Gesellschaft befand sich noch ein würdiger alter Herr, sein Schwiegervater. Die drei wackern Bürgersleute putzten ihre Operngläser und sahen ins Parkett, dessen unruhiges Hin und Her sie lebhaft zu interessieren schien. In den Logen sah man das absonderliche Premierenpublikum: Journalisten und ihre Mätressen, ausgehaltene Frauen und ihre Liebhaber, einige Gewohnheitstheaterbesucher, die an Premieren Gefallen fanden, und Damen aus der vornehmen Gesellschaft, die diese Art Aufregungen lieben. In einer Loge des ersten Rangs saß der Generaldirektor und seine Familie, der du Bruel in einer Finanzverwaltung untergebracht hatte, in der der Vaudeville-Verfasser die Bezüge einer Sinekure genoß. Lucien fiel seit dem Mittagessen von einem Erstaunen ins andere. Das literarische Leben, das ihm seit zwei Monaten so ärmlich und so entbehrungsvoll erschienen, das in Lousteaus Zimmer so gräßlich, in den Galeries de Bois so gedemütigt und zugleich so frech aufgetreten war, zeigte sich ihm jetzt in seltsamer Herrlichkeit und absonderlicher Gestalt. Dieses Gemisch aus Höhen und Tiefen, aus Kompromissen mit dem Gewissen, aus Überlegenheit und Erbärmlichkeit, aus Preisgebung und Genuß, aus Größe und Knechtschaft stumpfte ihn ab, wie einen, der einem unerhörten Schauspiel zusieht.
»Glauben Sie, daß das Stück von du Bruel Ihnen Geld einbringt?« fragte Finot den Direktor.
»Das Stück ist ein Intrigenstück, in dem du Bruel uns als Beaumarchais kommen wollte. Das Boulevardpublikum liebt diese Gattung nicht, es will mit Gefühlserregungen und Leidenschaften vollgepfropft werden. Der Witz ist bei ihm nicht beliebt. Alles hängt heute abend von Florine und Coralie ab, die entzückend schön und graziös sind. Diese beiden Mädchen haben sehr kurze Röcke, sie haben einen spanischen Tanz zu tanzen, sie können das Publikum fortreißen. Diese Vorstellung ist ein Spiel mit Würfeln. Wenn die Zeitungen mir im Falle des Erfolgs ein paar gute Artikel schreiben, kann ich hunderttausend Taler verdienen.«
»Wissen Sie, ich sehe schon, es wird nur ein Achtungserfolg«, sagte Finot.
»Es ist von den drei benachbarten Theatern eine Intrige gesponnen worden, man wird in jedem Falle zischen; aber ich habe dafür gesorgt, daß diese bösen Absichten vereitelt werden. Ich habe den Claqueurs, die gegen mich hierher geschickt wurden, mehr bezahlt, und sie werden sich bei ihrem Zischen ungeschickt anstellen. Es sind da zwei Kaufleute, von denen jeder, um Coralie und Florine einen Triumph zu verschaffen, hundert Billette genommen hat; sie haben sie solchen Bekannten gegeben, die imstande sind, mit der Intrige fertig zu werden. Die zweimal bezahlte Intrige wird zurückgewiesen, und ein solcher Vorgang bringt das Publikum immer in gute Stimmung.«
»Zweihundert Billette! Was für prächtige Kerle«, rief Finot.
»O ja, wenn ich noch zwei hübsche Schauspielerinnen hätte, die so üppig ausgehalten wären wie Florine und Coralie, wäre ich ein gemachter Mann.«
Seit zwei Stunden war in Luciens Ohren das Geld der Schlüssel zu allem. Im Theater, im Buchhandel und im Journalismus war nicht von Kunst und nicht von Ruhm die Rede. Diese ewigen Hammerschläge des großen Prägstocks der Münze, die ihm fortwährend auf den Kopf und aufs Herz fielen, zermarterten ihm Sinn und Gemüt. Während das Orchester die Ouvertüre spielte, konnte er sich nicht enthalten, dem
Weitere Kostenlose Bücher