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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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lassen,« sagte die Witwe des Wichsfabrikanten, »das ist ihr großes Hilfsmittel.«
    »Der Direktor gibt uns seine Loge, du findest mich da wieder«, sagte Finot zu Etienne.
    Lousteau führte nunmehr Lucien hinter der Bühne durch das Labyrinth der Kulissen, der Korridore und der Treppen bis in den dritten Stock in ein kleines Zimmer. Nathan und Félicien Vernou hatten sich ihnen angeschlossen.
    »Guten Abend! meine Herren«, sagte Florine. – »Mein Lieber,« sagte sie und wandte sich zu einem stämmigen kleinen Mann, der sich in einen Winkel drückte, »diese Herren gebieten über mein Schicksal, meine Zukunft ist in ihren Händen; aber ich hoffe, wenn Herr Lousteau nichts vergessen hat, sind sie morgen früh unter unserm Tisch ...«
    »Vor allen Dingen: Sie werden Blondet von den ›Débats‹ haben,« sagte Etienne zu ihr, »den richtigen Blondet, Blondet in Person, kurz Blondet!«
    »O mein süßer Lousteau, ich muß dich umarmen«, sagte sie und fiel ihm um den Hals.
    Bei dieser Kundgebung nahm Matifat, das war der stämmige Mann, eine ernsthafte Miene an. Florine war sechzehn Jahre alt und mager. Ihre Schönheit, die vielversprechend war wie eine Knospe, konnte nur den Künstlern gefallen, denen eine Skizze lieber ist als ein fertiges Bild. Diese entzückende Schauspielerin hatte in ihren Zügen die ganze Zartheit, die ihr Wesen ausmacht, und glich damals Goethes Mignon. Matifat, ein reicher Drogist aus der Rue des Lombards, hatte gedacht, eine kleine Boulevardschauspielerin könnte nicht viel kosten; aber in elf Monaten hatte er für Florine sechzigtausend Franken ausgegeben. Nichts kam Lucien erstaunlicher vor als dieser ehrbare, biedere Kaufmann, der wie ein Säulenheiliger in diesem Verschlag von zehn Fuß im Geviert in seiner Ecke saß. Die Kammer war übrigens hübsch tapeziert und mit einem großen Stehspiegel, einem Diwan, zwei Stühlen, einem Teppich, einem Kamin und mehreren Schränken eingerichtet. Eine Kammerfrau zog eben die Schauspielerin als Spanierin an. Das Stück war ein Imbroglio, in dem Florine die Rolle einer Gräfin hatte.
    »Dieses Geschöpf wird in fünf Jahren die schönste Schauspielerin von Paris sein«, sagte Nathan zu Félicien.
    »Herzchen,« sagte Florine und wandte sich den drei Journalisten zu, »seid morgen recht nett gegen mich; zunächst habe ich für heute nacht Wagen bestellt, denn ihr sollt mir bezecht werden wie zu Fastnacht. Matifat hat Weine angeschafft, oh! Weine, die Ludwigs XVIII. würdig wären, und er hat den Koch des preußischen Gesandten engagiert.«
    »Wir machen uns, wenn wir den Herrn nur sehen, auf Ungewöhnliches gefaßt«, sagte Nathan.
    »Aber er weiß, daß er die gefährlichsten Männer von Paris zu Gast hat«, erwiderte Florine.
    Matifat richtete einen unruhigen Blick auf Lucien, denn die große Schönheit des Jünglings erregte seine Eifersucht.
    »Aber da ist jemand, den ich nicht kenne«, sagte Florine und faßte Lucien ins Auge. »Wer von euch hat den Apollo des Belvedere aus Florenz mitgebracht? Der Herr ist reizend wie eine Gestalt von Girodet.«
    »Mein Fräulein,« sagte Lousteau, »der Herr ist ein Dichter aus der Provinz, den ich vergessen habe Ihnen vorzustellen. Sie sind heute abend so schön, daß es unmöglich ist, an die knabenhafte und philiströse Höflichkeit zu denken.«
    »Ist er reich, daß er Gedichte macht?« fragte Florine.
    »Arm wie Hiob«, antwortete Lucien.
    »Recht verlockend für uns«, sagte die Schauspielerin.
    Du Bruel, der Verfasser des Stücks, ein kleiner, schlanker junger Mann im Gehrock, der zugleich wie ein Bureaukrat, Grundbesitzer und Börsenmakler aussah, trat plötzlich ein.
    »Kleine Florine, Sie können doch hoffentlich Ihre Rolle? Nur keine Gedächtnisschwäche! Bringen Sie die Szene des zweiten Akts gut heraus, beißend, scharf! Sprechen Sie die Stelle: ›Ich liebe Sie nicht!‹ wie wir besprochen haben.«
    »Warum übernehmen Sie Rollen, in denen solche Sätze vorkommen?« sagte Matifat zu Florine.
    Diese Bemerkung des Drogisten wurde mit allgemeinem Lachen begrüßt.
    »Was macht das Ihnen?« antwortete sie, »ich sage es doch nicht zu Ihnen, dummer Mensch! – Er quält mich immer mit seinen Albernheiten«, fügte sie, zu den Schriftstellern gewendet, hinzu. »So wahr ich ein ehrbares Mädchen bin, ich würde es ihm heimzahlen, wenn mich das nicht ruinierte.«
    »Das wäre schon recht, aber wenn Sie das sagen, werden Sie mich ansehen, wie wenn Sie Ihre Rolle lernen, und das macht mir angst«,

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