Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
schon«, sagte Lucien, der ein wenig bezecht war. »Aber wie soll ich es anstellen?«
    »Nun,« sagte Lousteau, »schreibe für das Blatt Merlins drei schöne Spalten, worin du dich selbst widerlegst. Nachdem wir uns an der Wut Nathans geweidet haben, sagen wir ihm, daß er uns bald für die gedrängte Polemik Dank wissen soll, vermittels welcher sein Buch in acht Tagen vergriffen sein wird. Vorläufig bist du in seinen Augen ein Spion, ein Hundsfott, ein Schlingel, übermorgen wirst du ein großer Mann, ein starker Geist, ein Mann Plutarchs sein! Nathan wird dich als seinen besten Freund umarmen. Dauriat ist gekommen, du hast drei Scheine von tausend Franken: der Streich ist gelungen. Nun bedarfst du der Achtung und der Freundschaft Nathans. Der Hereingefallene darf nur der Buchhändler sein. Nur unsere Feinde dürfen wir hinschlachten und verfolgen. Wenn es sich um einen Mann handelte, der ohne uns einen Namen erlangt hätte, um ein unbequemes Talent, das man totmachen müßte, würden wir eine solche Widerlegung nicht für nötig halten; aber Nathan ist einer unserer Freunde, Blondet hatte ihn nur im ›Mercure‹ angreifen lassen, um sich das Vergnügen zu machen, in den ›Débats‹ zu antworten. Auch ist die erste Auflage des Buches vergriffen!«
    »Meine Freunde, auf Ehrenwort, ich bin unfähig, zwei Worte des Lobes über dieses Buch zu schreiben ...«
    »Du verdienst noch hundert Franken,« sagte Merlin, »Nathan wird dir schon zehn Louisdor eingebracht haben, abgesehen davon, daß du einen Artikel in Finots Zeitschrift bringen kannst, für den dir Dauriat hundert Franken bezahlt und die Zeitschrift hundert Franken: zusammen zwanzig Louisdor!«
    »Aber was soll ich sagen?« fragte Lucien.
    »Du kannst dich folgendermaßen aus der Klemme ziehen, mein Kind,« sagte Blondet, der nachdachte: »Der Neid, der, wie der Wurm an guten Früchten, an allen schönen Werken nagt, hat auch dieses Buch zu zerfressen versucht«, wirst du sagen. »Um es mit Fehlern zu behaften, hat die Kritik eigens für dieses Buch Theorien erfinden müssen, in denen sie zwei Gattungen der Literatur unterscheidet: die eine, die sich den Ideen widmet, und die andere, die sich in Bildern verliert. Hier kannst du sagen, daß es der Gipfel der literarischen Kunst ist, die Idee im Bilde auszudrücken. Indem du zu beweisen suchst, daß das Bild die ganze Poesie ist, beklagst du dich über das Geringe an Poesie, das unsere Sprache zuläßt, sprichst von den Vorwürfen, die uns die Ausländer über den Positivismus unseres Stils machen, und lobst Herrn von Canalis und Nathan für die Dienste, die sie Frankreich damit erweisen, daß sie seine Sprache poetisch gestalten. Übertrumpfe deine vorige Beweisführung, indem du zeigst, daß wir über das neunzehnte Jahrhundert hinausgeschritten sind. Erfinde den Fortschritt – eine wundervolle Mystifikation für den Bourgeois! Unsere junge Literatur stellt Gemälde hin, in denen alle Gattungen der Komödie und des Dramas, die Schilderungen, die Charaktere, der Dialog, von den Verschlingungen einer interessanten Fabel gehalten, zusammengefaßt sind. Der Roman, der das Gefühl, den Stil und das Bild verlangt, ist die eminenteste moderne Schöpfung. Er folgt auf die Komödie, die mit ihren alten Gesetzen bei unsern modernen Sitten nicht mehr möglich ist. Er umfaßt die Tatsache und die Idee in seinen Erfindungen, und sie erfordern den Geist von Labruyère und seine einschneidende Moral, eine Behandlung der Charaktere, wie sie Molière hinstellte, und wie wir sie aus den kolossalen Geisteswerken Shakespeares kennen, und die Wiedergabe der zartesten Stürme der Leidenschaft, die der einzige Schatz ist, den uns unsere Vorgänger hinterlassen haben. Auch ist der Roman der kalten und mathematischen Diskussion, der trockenen Analyse des achtzehnten Jahrhunderts weit überlegen. ›Der Roman‹, so kannst du sentenziös sagen, ›ist ein amüsantes Epos.‹ Zitiere Corinna, stütze dich auf Madame de Staël. Das achtzehnte Jahrhundert hat alles in Frage gestellt, das neunzehnte hat die Aufgabe, Schlußfolgerungen zu ziehen: es schließt mit Wirklichkeiten, und zwar mit Wirklichkeiten, die lebendig und in Bewegung sind; es läßt die Leidenschaft spielen, ein Element, das Voltaire unbekannt war. Hier eine Tirade gegen Voltaire. Was Rousseau angeht, so hat er nur verkleidete Systeme und Beweisführungen hingestellt. Julie und Clara sind Entelechien, sie haben weder Fleisch noch Knochen. Hier kannst du abspringen und

Weitere Kostenlose Bücher