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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sagen, daß wir dem Frieden, den Bourbonen eine junge und originelle Literatur verdanken, denn du schreibst für ein Blatt des rechten Zentrums. Mache dich über diejenigen lustig, die Systeme aufstellen. Zuletzt kannst du mit einer schönen Regung ausrufen: ›Welche Irrtümer und Verhüllungen der Wahrheit bei unserm Kollegen! Und warum? Um ein so schönes Werk herabzusetzen, das Publikum zu täuschen und zu der Schlußfolgerung zu kommen: ein Buch, das gut gekauft wird, ist unverkäuflich! Proh pudor ‹ Schrei: Proh pudor! Dieser biedere Fluch nimmt den Leser gefangen. Proklamiere schließlich den Verfall der Kritik! Schlußfolgerung: ›Es gibt nur eine einzige Literatur: die Unterhaltungsliteratur. Nathan hat einen neuen Weg eingeschlagen, er versteht seine Zeit und entspricht ihren Bedürfnissen. Das Bedürfnis der Zeit ist das Drama. Das Drama ist der Wunsch eines Jahrhunderts, in dem die Politik ein unaufhörliches Mimodrama ist. Haben wir nicht‹, fragst du, ›in zwanzig Jahren die vier Dramen der Revolution, des Direktoriums, des Kaiserreichs und der Restauration sich abspielen sehn?‹ Von da kommst du ganz von selbst in die überschwenglichsten Lobeserhebungen, und die zweite Auflage ist weg. Nämlich so: am nächsten Sonnabend schreibst du einen Bogen in unserer Zeitschrift und unterzeichnest den Artikel mit deinem vollen Namen von Rubempré. In diesem letzten Artikel sagst du: ›Es ist das Eigentümliche schöner Bücher, daß sie tiefgehende Diskussionen hervorrufen. In dieser Woche hat das und das Blatt das und das über das Buch von Nathan gesagt, das und das andere hat ihm lebhaft erwidert.‹ Du kritisierst die beiden Kritiken C. und L., du sagst mir im Vorübergehen ein freundliches Wort über den ersten Artikel, den ich in den ›Débats‹ gebracht habe, und du sagst am Schluß, ›das Buch Nathans sei das schönste Buch der Zeit‹. Das ist gerade so viel, wie wenn du nichts gesagt hättest. Man sagt das von allen Büchern. Dabei hast du in einer Woche vierhundert Franken verdient und hast überdies noch das Vergnügen, an irgendeiner Stelle die Wahrheit gesagt zu haben. Gescheite Menschen werden entweder C. oder L. oder Rubempré oder vielleicht auch allen dreien rechtgeben! Die Mythologie, die sicher eine der größten Erfindungen der Menschheit ist, hat die Wahrheit auf den Grund eines Brunnens verwiesen, braucht man nicht Eimer, um sie herauszuholen? Du gibst dem Publikum drei für einen. Da hast du, was du brauchst, mein Junge, und nun los!«
    Lucien war wie betäubt, Blondet küßte ihn auf beide Backen und verabschiedete sich: »Ich gehe in meine Bude.«
    Alle gingen sie nun in ihre Buden. Für diese »starken« Männer war die Zeitung nur eine Bude. Sie wollten sich alle am Abend in den Galeries de Bois wiedersehen, wo Lucien seinen Vertrag mit Dauriat unterzeichnen sollte. Florine und Lousteau, Lucien und Coralie, Blondet und Finot dinierten im Palais Royal, wo du Bruel dem Direktor des Panorama Dramatique ein Diner gab.
    »Sie haben recht,« rief Lucien, als er mit Coralie allein war, »die Menschen dürfen in den Händen der Starken nur Mittel sein. Vierhundert Franken für drei Artikel! Doguereau wollte mir kaum so viel für ein Buch geben, zu dem ich zwei Jahre Arbeit gebraucht habe.«
    »Schreibe Kritiken,« versetzte Coralie, »und amüsiere dich. Bin ich nicht heute abend in Andalusien und morgen eine Zigeunerin und an einem andern Tag ein Mann? Mach es wie ich. Gib ihnen Grimassen für ihr Geld und laß uns glücklich sein.«
    Ihr paradoxes Wort gefiel Lucien, und er schwang seinen Geist auf diesen launigen Maulesel, den Sohn von Pegasus und Bileams Eselin. Während seines Spazierganges im Bois galoppierte er so auf den Gefilden des Gedankens und entdeckte in der These Blondets originelle Schönheiten. Er dinierte, wie es glückliche Menschen tun, unterzeichnete bei Dauriat einen Vertrag, durch den er ihm das Manuskript der ›Margueriten‹ zu unbeschränktem Eigentum abtrat, ohne daß er dagegen etwas eingewendet hätte; dann begab er sich für ein Weilchen auf die Redaktion, schrieb rasch zwei Spalten hin und kehrte in die Rue de Vendôme zurück. Am nächsten Morgen zeigte es sich, daß die Gedanken vom Tage vorher in seinem Kopfe gekeimt hatten, wie es mit allen Geistern geht, die voller Jugendfrische sind und deren Gaben noch wenig benutzt worden sind. Lucien machte es Vergnügen, diesen neuen Artikel auszuarbeiten, er ging mit glühendem Elfer daran. Unter seiner

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