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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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diese großen Geister, die er noch vor zwei Monaten so sehr bewundert hatte, mit ihren Ideen und ihrem Puritanismus nicht ein wenig albern wären. Das Wort Gimpel, das Coralie so unbekümmert ausgesprochen hatte, war im Geiste Luciens aufgegangen und trug schon seine Früchte. Er brachte Coralie in ihr Ankleidezimmer und spazierte dann wie ein Sultan hinter den Kulissen auf und ab, und alle Schauspielerinnen umschmeichelten ihn mit ihren brennenden Blicken und freundlichen Worten.
    »Ich muß ins Ambigu gehen und mein Handwerk verrichten«, sagte er.
    Im Ambigu war der Zuschauerraum besetzt. Es fand sich kein Platz mehr für Lucien. Lucien ging auf die Bühne und beklagte sich heftig, daß er keinen Platz hätte. Der Regisseur, der ihn nicht kannte, sagte ihm, man hätte seinem Blatt zwei Logen gesandt, und schickte ihn weg.
    »Ich werde über das Stück so schreiben, wie ich es gehört habe«, sagte Lucien mit gekränkter Miene.
    »Sie sind wohl nicht bei Trost!« sagte die erste Liebhaberin zu dem Regisseur, »das ist der Liebhaber Coralies!«
    Sofort wandte sich der Regisseur an Lucien.
    So bewiesen die kleinsten Einzelheiten Lucien die ungeheure Macht der Zeitung und schmeichelten seiner Eitelkeit. Der Direktor kam und ersuchte den Herzog von Rhétoré und Tullia, die erste Ballerina, die sich in einer Proszeniumsloge befanden, sie möchten Lucien einen Platz einräumen. Der Herzog erkannte Lucien und willigte ein.
    »Sie haben zwei Menschen in Verzweiflung gebracht«, sagte der junge Mann zu ihm und sprach ihm von dem Baron du Châtelet und Frau von Bargeton.
    »Wie wird es erst morgen sein?« erwiderte Lucien. »Bis jetzt haben meine Freunde die Rolle der Tirailleure gegen sie gespielt, aber heute nacht schieße ich mit glühenden Kugeln gegen sie. Morgen sollen Sie sehen, warum wir über Potelet spotten. Der Artikel ist überschrieben: ›Potelet von 1811 an Potelet von 1821‹. Ich stelle Châtelet als den Typus der Leute hin, die ihren Wohltäter verleugneten und sich mit den Bourbonen versöhnten. Ich werde sie meine ganze Macht fühlen lassen, und dann gehe ich zu Frau von Montcornet.«
    Lucien führte mit dem jungen Herzog eine geistsprühende Unterhaltung; es lag ihm viel daran, dem vornehmen Herrn zu zeigen, wie gröblich sich die Marquise d'Espard und Frau von Bargeton getäuscht hatten, als sie ihn mißachteten; aber die Stelle, an der er empfindlich war, trat zutage, als der Herzog von Rhétoré ihn mit leichter Bosheit Chardon nannte: er versuchte, sein Anrecht auf den Namen von Rubempré zu verfechten.
    »Sie sollten Royalist werden«, sagte der Herzog zu ihm. »Sie haben sich als ein Mann von Geist gezeigt, zeigen Sie sich jetzt als ein Mann von Verstand. Der einzige Weg, eine Ordonnanz des Königs zu erlangen, die Ihnen den Titel und den Namen Ihrer mütterlichen Vorfahren gibt, ist, sie als Belohnung für Dienste zu erbitten, die Sie dem Hofe erweisen. Die Liberalen werden Sie niemals zum Grafen machen! Sehen Sie, die Restauration wird schließlich der Presse, der einzigen Macht, die zu fürchten ist, den Garaus machen. Man hat schon zu lange gewartet. Sie müßte einen Maulkorb bekommen. Benutzen Sie die letzten Augenblicke ihrer Freiheit, damit man Sie fürchtet. Binnen wenigen Jahren sind ein Name und ein Titel in Frankreich sicherere Reichtümer als das Talent. Sie können also alles haben: Geist, Adel und Schönheit; Sie werden alles bekommen. Seien Sie also in diesem Augenblick nur liberal, um Ihren Royalismus vorteilhaft zu verkaufen.«
    Der Herzog bat Lucien, er möchte doch die Einladung zum Diner annehmen, die ihm der Minister, mit dem er bei Florine soupiert hatte, zugehen lassen würde. Lucien war in einem Augenblick von den Bemerkungen des Edelmannes verführt und war entzückt, daß er die Türen der Salons sich vor ihm öffnen sah, aus denen er sich vor wenigen Monaten verbannt geglaubt hatte. Er staunte über die Macht des Gedankens. Die Presse und die Intelligenz waren also das Mittel der heutigen Gesellschaft. Lucien begriff, daß Lousteau es vielleicht bereute, ihm die Pforten des Tempels geöffnet zu haben, er empfand schon für seine eigene Person die Notwendigkeit, den Ehrgeizigen, die aus der Provinz nach Paris strömten, Schranken entgegenzustellen, die schwer zu übersteigen wären. Wenn zu ihm ein Dichter gekommen wäre, wie er sich Etienne in die Arme geworfen hatte, wahrlich, er wagte sich nicht zu fragen, welchen Empfang er ihm bereitet hätte. Der junge Herzog

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