Verlorene Illusionen (German Edition)
hätten sie bei ihrem Auftreten und ihrem Abgehen keinen Beifall.«
Lousteau gab diese Erklärung halblaut, während sie die Treppe hinaufgingen.
»Paris ist ein seltsames Land«, sagte Lucien; in allen Winkeln lauerten interessante Dinge auf ihn.
Ein schmuckes Zimmermädchen führte die beiden Journalisten zu Herrn Braulard. Der Billetthändler, der auf einem Schreibtischstuhl vor einem großen Zylinderbureau saß, erhob sich, als er Lousteau sah. Braulard trug einen Rock aus grauem Molton, Strumpfhosen und rote Pantoffeln, völlig wie ein Arzt oder ein Advokat. Lucien sah in ihm das Urbild des reichen Emporkömmlings: ein gemeines Gesicht, überaus schlaue graue Augen, Hände eines Claqueurs, einen Teint, den die Ausschweifungen zugerichtet hatten wie der Regen die Dächer, ergrauende Haare und eine sehr gedämpfte Stimme.
»Sie kommen ohne Zweifel für Fräulein Florine, und der Herr für Fräulein Coralie?« sagte er. »Ich kenne Sie gut. Seien Sie ruhig, lieber Herr,« sagte er zu Lucien, »ich kaufe die Praxis des Gymnase, ich werde Ihre Geliebte gut bedienen und werde sie warnen, wenn gegen sie Streiche geplant werden.«
»Wir wollen das nicht ablehnen, mein lieber Braulard«, sagte Lousteau; »aber eigentlich kommen wir wegen der Billette der Zeitung für alle Boulevardtheater: ich als Chefredakteur und der Herr als Berichterstatter über all diese Theater.«
»Ach ja, Finot hat sein Blatt verkauft. Ich hörte von dem Geschäft. Er macht seine Sache gut, der Finot. Ich gebe ihm Ende der Woche ein Diner. Wenn Sie mir die Ehre und das Vergnügen machen wollen, zu kommen, können Sie Ihre Damen mitbringen; es wird lustig zugehen. Es werden da sein: Adèle Dupuis, Ducange, Frédéric du Petit-Méry, Fräulein Millot, meine Geliebte; wir werden viel lachen und noch mehr trinken.«
»Ducange muß es schlecht gehen, er hat seinen Prozeß verloren.«
»Ich habe ihm zehntausend Franken geliehen, der Erfolg des ›Calas‹ wird mir sie wiedergeben: ich habe tüchtig eingeheizt! Ducange ist ein geistvoller Mann, er kann etwas ...«
Lucien glaubte zu träumen, als er hörte, wie dieser Mann kritisch über das Talent von Schriftstellern sprach.
»Coralie hat sich gebessert«, sagte Braulard zu ihm mit der Miene eines kompetenten Richters. »Wenn sie nett ist, werde ich sie heimlich bei ihrem ersten Auftreten im Gymnase gegen die Ränke unterstützen. Hören Sie: ich will gut angezogene Männer für sie auf die Galerien setzen, die lächeln und leise beifällig murmeln, um den Beifall hervorzurufen. Das ist eine Veranstaltung, die einer Schauspielerin eine Stellung verschafft. Coralie gefällt mir, und Sie dürfen mit ihr zufrieden sein, sie hat Empfindung. Ah, wenn ich will, kann ich jede durchfallen lassen ...«
»Aber kommen wir auf das Geschäft mit den Billetten«, fiel Lousteau ein. »Nun, ich werde sie an den ersten Tagen jedes Monats bei dem Herrn abholen. Der Herr ist Ihr Freund, ich werde ihn behandeln wie Sie. Sie haben fünf Theater, man wird Ihnen dreißig Billette geben: das wird so beiläufig fünfundsiebzig Franken im Monat machen. Vielleicht wünschen Sie einen Vorschuß?«
Damit ging der Billetthändler zu seinem Sekretär und zog eine Kasse hervor, die voller Taler war.
»Nein, nein,« sagte Lousteau, »wir bewahren uns diese Quelle für die schlimmen Tage auf...«
Braulard wandte sich jetzt wieder zu Lucien: »Ich werde in diesen Tagen mit Coralie arbeiten, wir werden uns gut verständigen.«
Lucien sah sich nicht ohne tiefes Staunen im Arbeitszimmer Braulards um, in dem er einen Bücherschrank, Stiche und gute Möbel gewahrte. Als er durch den Salon fortging, sah er, daß auch hier die Möbel gleichweit von der Dürftigkeit wie von übertriebenem Luxus entfernt waren. Das Speisezimmer schien ihm noch am besten eingerichtet; er machte einen Scherz darüber.
»Aber Braulard ist ein Feinschmecker,« sagte Lousteau, »seine Diners sind in der dramatischen Literatur berühmt, sie stehen im Einklang mit seiner Kasse.«
»Ich habe gute Weine«, versetzte Braulard bescheiden. »Ah! da kommen meine Truppen«, rief er, als er heisere Stimmen und den Lärm von Tritten auf der Treppe hörte.
Beim Verlassen des Hauses sah Lucien die übelduftende Rotte der Claqueure und Billettverkäufer, lauter Leute mit Mützen, abgetragenen Hosen, fadenscheinigen Röcken, mit blauen oder grünlichen, schmutzigen oder durch Krankheit entstellten Gesichtern, mit langen Bärten, mit Augen, die zugleich wild und
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