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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nicht frei bin und nicht schreiben kann, was ich denke.«
    »Aber was liegt denn dir daran, wenn du dein Schäfchen dabei scherst?« rief Lousteau. »Sag einmal, mein Lieber, was für eine Beschwerde hast du gegen das Theater? Du mußt doch einen Grund haben, um das Stück von gestern zu vernichten. Wollten wir vernichten, um zu vernichten, würden wir das Blatt kompromittieren. Wenn sich das Blatt in seinen Hieben nach der Gerechtigkeit richtete, würde es keine Wirkung erzielen. Hat es der Direktor an etwas fehlen lassen?«
    »Er hatte mir keinen Platz reserviert.«
    »Schön«, erwiderte Lousteau. »Ich werde dem Direktor deinen Artikel zeigen, ich werde ihm sagen, wie ich ihn gemildert habe, und du stellst dich besser, als wenn er erschienen wäre. Verlange morgen Billette von ihm, er wird dir vierzig monatlich in blanco bewilligen, und ich führe dich dann zu einem Manne, der sie dir unterbringt; er kauft sie dir alle miteinander mit fünfzig Prozent Ermäßigung auf den Preis der Plätze ab. Mit den Theaterbilletten wird derselbe Handel getrieben wie mit den Büchern. Du sollst einen zweiten Barbet kennen lernen, einen Chef der Claque, er wohnt nicht weit von hier, wir haben Zeit, komm.«
    »Aber, lieber Freund, Finot treibt doch ein niederträchtiges Gewerbe, wenn er so auf dem Felde des Denkens indirekte Steuern erhebt. Früher oder später ...«
    »Aber woher kommst du denn?« entgegnete Lousteau. »Wofür hältst du Finot? Unter seiner falschen Gutmütigkeit, unter seiner Miene eines Turcaret, unter seiner Unwissenheit und Dummheit birgt sich alle Schlauheit eines kleinen Krämers, der mit Hüten handelt, und von so einem stammt er ja auch. Hast du nicht in seinem Verschlag im Bureau des Blattes einen alten Kaiserlichen Offizier gesehen, den Onkel Finots? Dieser Onkel ist nicht nur ein Ehrenmann, er hat auch das Glück, für einen Dummkopf zu gelten. Er ist der Mann, der sich in allen Geldgeschäften kompromittiert. In Paris ist ein Ehrgeiziger sehr glücklich zu preisen, wenn er ein Wesen neben sich hat, das bereit ist, sich kompromittieren zu lassen. Es gibt in der Politik wie im Journalismus eine Menge Fälle, von denen die Chefs nie etwas wissen dürfen. Wenn Finot eine politische Persönlichkeit würde, verwandelte sich sein Onkel in seinen Sekretär und empfinge für seine Rechnung die Tribute, die in den Bureaus, in denen es sich um die Staatsangelegenheiten handelt, erhoben werden. Giroudeau, den man zuerst für einen Dummkopf zu halten geneigt ist, ist genau so pfiffig, wie es für einen Helfershelfer, aus dem nichts herauszubekommen ist, nötig ist. Er steht auf Posten, um zu verhindern, daß wir durch Geschrei, durch die Neulinge, die Beschwerden belästigt werden, und ich glaube nicht, daß es in einem andern Blatt seinesgleichen gibt.«
    »Er spielt seine Rolle gut,« sagte Lucien, »ich habe ihn bei der Arbeit gesehen.«
    Etienne und Lucien begaben sich in die Rue du Faubourg-du-Temple, wo der Chefredakteur vor einem stattlichen Hause stehen blieb.
    »Ist Herr Braulard zu Hause?« fragte er den Portier.
    »Wie, hier wohnt der Chef der Claque?« fragte Lucien erstaunt.
    »Mein Lieber, Braulard hat zwanzigtausend Livres Einkommen, er hat die Boulevarddramatiker in den Händen, die alle ein Konto bei ihm haben wie bei einem Bankier. Die Freibillette der Autoren und der Begünstigten müssen verkauft werden. Diesen Handel betreibt Braulard. Nimm ein wenig Statistik zur Hilfe, das ist eine recht nützliche Wissenschaft, wenn man sie nicht mißbraucht. Wenn du für jedes Theater fünfzig Freibillette annimmst, so kommst du auf täglich zweihundertfünfzig Billette; wenn sie durchschnittlich gerechnet jedes fünfzig Sous wert sind, so zahlt Braulard hundertfünfundzwanzig Franken täglich an die Autoren und kann ebensoviel daran verdienen. Also die Billette der Autoren allein verschaffen ihm mehr als viertausend Franken monatlich, in Summa achtundvierzigtausend Franken jährlich. Nimm zwanzigtausend Franken Verlust an, denn er kann seine Billette nicht immer unterbringen.«
    »Warum?«
    »Oh, es gibt Leute, die ihre Plätze an der Kasse kaufen; die haben vor den Freibilletten den Vorzug, daß sie reserviert sind. Überdies gibt es Tage mit gutem Wetter und mit schlechten Stücken. So verdient Braulard vielleicht dreißigtausend Franken jährlich an diesem Artikel. Dann hat er seine Claque, das ist eine weitere Industrie. Florine und Coralie sind ihm tributpflichtig, wenn sie ihn nicht bezahlten,

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