Verlorene Illusionen (German Edition)
vermeiden, wo man ihn treffen könnte. Lucien, der auch nicht unterschiedslos durch alle Straßen ging, hatte das Manöver gekannt, ohne seine Bezeichnung zu wissen.
»Du hast also viel Schulden?«
»Eine schreckliche Menge«, erwiderte Lousteau. »Tausend Taler könnten mich retten. Ich habe mich rangieren und nicht mehr spielen wollen, und um meine Schulden zu tilgen, habe ich ein wenig Chantage gemacht.«
»Was ist Chantage?« fragte Lucien, dem dieses Wort unbekannt war.
»Die Chantage ist eine Erfindung der englischen Presse und ist vor kurzem nach Frankreich importiert worden. Die ›Chanteure‹ sind Leute, die eine Stellung haben, kraft deren sie über Zeitungen verfügen können. Niemals wird sich der Besitzer eines Blattes oder ein Chefredakteur in den Verdacht bringen lassen, daß er sich mit Chantage abgibt. Man hat seinen Giroudeau, seine Philipp Bridau. Diese Bravi gehen auf die Suche nach einem Menschen, der gewisse Gründe zu dem Wunsch hat, daß man sich nicht mit ihm beschäftigt. Viele Leute haben mehr oder weniger schlimme kleine Sünden auf dem Gewissen. Es gibt viele Vermögen in Paris, die auf bedenklichen Wegen mit mehr oder weniger gesetzlichen Mitteln, oft durch strafbare Manöver, erlangt worden sind und von denen man reizende Anekdoten erzählen könnte, wie die Geschichte von der Gendarmerie Fouchés, die die Häscher des Polizeipräfekten umstellte, welche nichts von dem Geheimnis der Fabrikation der falschen Noten der Bank von England wußten und eben die geheimen Drucker festnehmen wollten, die im Dienste des Ministers standen; oder die Geschichte von den Diamanten des Fürsten Galathione, die Affäre Maubreuil, die Erbschaftssache Pombreton usw. Der Chanteur hat sich irgendein Beweisstück, ein wichtiges Dokument verschafft und ersucht den Reichen um eine Besprechung. Wenn der Kompromittierte nicht eine bestimmte Summe gibt, winkt ihm der Chanteur mit der Presse, die bereit ist, ihn anzugreifen und seine Geheimnisse zu enthüllen. Der Reiche hat Angst und blecht. Der Streich ist gelungen. Es unternimmt jemand eine gewagte Spekulation, sie kann durch ein paar Artikel zu Fall gebracht werden, man schickt ihm einen Chanteur, der ihm den Rückkauf der Artikel vorschlägt. Es gibt Minister, denen man Chanteure schickt und die mit einem ausmachen, daß die Zeitung ihre politischen Akte, aber nicht ihre Person angreift, oder die ihre Person preisgeben und Gnade für ihre Geliebte verlangen. Des Lupeaulx, der reizende vortragende Rat, den du kennst, ist dauernd mit dieser Art Verhandlungen mit den Journalisten beschäftigt. Der Bursche hat sich durch seine Beziehungen bei den Machthaber eine wunderbare Stellung geschaffen: er ist zugleich der Geschäftsträger der Presse und der Botschafter der Minister, er treibt ein richtiges Roßtäuschergeschäft mit Eitelkeiten; er dehnt sogar diesen Handel auf politische Angelegenheiten aus, er verlangt von den Zeitungen Schweigen über eine Anleihe oder über eine Konzession, die ohne Ausschreiben und ohne Öffentlichkeit vergeben worden sind, von denen die liberalen Wucherer und Bankiers einen Teil abbekommen. Du hast mit Dauriat ein klein bißchen Chantage getrieben, er hat dir tausend Taler gegeben, um dich zu verhindern, Nathan herunterzumachen. Im achtzehnten Jahrhundert, wo der Journalismus noch in den Windeln lag, machte man die Chantage mit Hilfe von Flugschriften, deren Vernichtung man sich dann von Mätressen und vornehmen Herren abkaufen ließ. Der Erfinder der Chantage ist Aretino, ein sehr großer Mann Italiens, der die Könige besteuerte, wie in unseren Tagen eine Zeitung Steuern von den Schauspielern erhebt.«
»Was hast du gegen den Matifat gemacht, um zu deinen tausend Talern zu kommen?«
»Ich habe Florine in sechs Zeitungen angreifen lassen, und Florine hat sich bei Matifat beklagt. Matifat hat Braulard gebeten, den Grund dieser Angriffe ausfindig zu machen. Braulard ist von Finot hinters Licht geführt worden. Finot, zu dessen Gunsten ich die Chantage machte, hat dem Drogisten gesagt, du rissest Florine im Interesse Coralies herunter. Giroudeau hat Matifat aufgesucht und hat ihm vertraulich gesagt, daß alles in Ordnung käme, wenn er sein Sechstel, den Anteil an Finots Zeitschrift, für zehntausend Franken verkaufen wollte. Finot sollte mir für den Fall des Erfolges tausend Taler geben. Matifat wollte den Handel abschließen und war glücklich, von seinen dreißigtausend Franken, die ihm sehr riskant angelegt schienen,
Weitere Kostenlose Bücher