Verlorene Illusionen (German Edition)
Petit-Claud, »er trinkt noch gern sein Gläschen.«
»Rechne ich denn auf den Tod meines Vaters?« fragte David. »Ich bin einem industriellen Geheimnis auf der Spur, das es mir möglich machen wird, ohne ein Fäserchen Baumwolle ein Papier herzustellen, das so fest ist wie das holländische und fünfzig Prozent billiger als der gegenwärtige Einkaufspreis des Baumwollzeugs.«
»Das ist ein Vermögen!« rief Petit-Claud, der jetzt den Plan des großen Cointet verstand. »Ein großes Vermögen, lieber Freund, denn man wird binnen zehn Jahren zehnmal mehr Papier brauchen als heute. Der Journalismus ist der Wahnsinn unserer Zeit. – Niemand kennt dein Geheimnis?«
»Niemand außer meiner Frau.«
»Du hast deinen Plan, dein Programm nicht etwa jemandem gesagt, zum Beispiel den Cointet?«
»Ich habe ihnen, glaube ich, ganz unbestimmt davon gesprochen.«
Ein Schimmer von Edelmut tauchte jetzt in der galligen Seele von Petit-Claud auf, der alles, das Interesse der Cointet, sein eigenes und das Séchards, miteinander in Einklang zu bringen versuchte.
»Höre, David, wir sind Schulkameraden, ich werde deine Sache führen; aber beachte wohl: dieser Prozeß gegen die Gesetze kostet dir fünf- bis sechstausend Franken! ... Setz dein Vermögen nicht aufs Spiel. Ich glaube, du wirst die Gewinne deiner Erfindung mit einem unserer Fabrikanten teilen müssen. Sieh mal, du wirst es dir doch zweimal überlegen, ehe du eine Papiermühle kaufst oder bauen läßt ... Du wirst überdies ein Patent zur Ausbeutung der Erfindung nehmen müssen, all das kostet Zeit und kostet Geld. Die Gerichtsvollzieher überfallen dich vielleicht zu früh, trotz all den Umwegen, die wir machen werden, um ihnen zu entgehen.«
»Ich behalte mein Geheimnis«, erwiderte David milt der Unerfahrenheit des Gelehrten.
»Gut also. Dein Geheimnis soll dir die Rettung bringen,« fuhr Petit-Claud fort, der sich in seinem ersten ehrlichen Versuch, einen Prozeß zu vermeiden und einen Vergleich zu schließen, zurückgestoßen sah, »ich will es nicht wissen; aber höre wohl, was ich sage: Arbeite im Innern der Erde, damit dich niemand sieht und niemand den Mitteln, die du anwendest, auf die Spur kommt, denn das Brett, das deine Rettung sein soll, wird dir unter den Füßen gestohlen werden ... Unter der Haut eines Erfinders sitzt oft der Gimpel! Ihr denkt zuviel an eure Geheimnisse, als daß ihr an alles denken könnt. Man wird schließlich dem Gegenstand deiner Forschungen auf den Grund kommen, du bist von Fabrikanten umringt! So viele Fabrikanten, so viele Feinde! Du bist wie ein gejagtes Tier inmitten der Jäger, laß ihnen nicht dein Fell ...«
»Danke, lieber Kamerad, ich habe mir das alles gesagt,« rief Séchard; »aber ich bin dir dankbar, daß du mir so viel Vorsicht und Eifer zeigst! Es handelt sich in diesem Unternehmen nicht um mich. Mir würden zwölfhundert Franken jährlich genügen, und mein Vater muß mir eines Tages mindestens dreimal soviel hinterlassen ... Ich lebe von der Liebe und von meinem Denken ... ein himmlisches Leben! ... Es handelt sich um Lucien und meine Frau, für sie arbeite ich ...«
»Schön also, unterzeichne diese Vollmacht und kümmere dich nur noch um deine Entdeckung. Kommt es so weit, daß du dich wegen der Schuldhaft verborgen halten mußt, dann gebe ich dir am Tage vorher Nachricht; man muß an alles denken. Und vergiß nicht: laß niemand zu dir, dessen du dir nicht so gewiß bist wie deiner selbst.«
»Cérizet hat den Pachtvertrag zur Benutzung meiner Druckerei nicht erneuern wollen, und daher stammen unsere kleinen Geldsorgen. Ich habe also nur noch Marion bei mir und Kolb, einen Elsässer, der treu wie ein Pudel ist, meine Frau und meine Schwiegermutter.«
»Höre,« sagte Petit-Claud, »mißtraue dem Pudel ...«
»Du kennst ihn nicht« rief David; »Kolb ist mein zweites Ich.«
»Darf ich ihn auf die Probe stellen?«
»Ja«, antwortete Séchard.
»Dann leb wohl; aber schick mir die schöne Frau Séchard, wir brauchen auch eine Vollmacht deiner Frau. Und vergiß nicht, lieber Freund, daß du in gefährlicher Lage bist«, sagte Petit-Claud zu seinem Kameraden und warnte ihn damit vor allen juridischen Schlägen, die ihn treffen sollten.
»Jetzt sitze ich also vorläufig zwischen zwei Stühlen«, sagte Petit-Claud zu sich selbst, nachdem er seinem Freund David Séchard bis zur Tür des Bureaus das Geleite gegeben hatte.
David, dem die Geldsorgen keine Ruhe ließen, den der Zustand seiner Frau, die
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