Verlorene Illusionen (German Edition)
Zwangsverfahren ein Ende machen... Nun schön, wenn Sie zu ihm kein Vertrauen haben, borgen Sie sie mir, ich werde sie Ihnen zurücklegen, legen Sie sie auf meine Mitgift, auf meine Arbeit an...«
»David Séchard wird also exekutiert!« rief der Winzer, der mit Erstaunen erfuhr, daß, was er für eine Verleumdung gehalten hatte, auf Wahrheit beruhte. »Das kommt davon, wenn man seinen Namen schreiben kann!... Und meine Miete! Oh, mein Töchterchen, es tut not, daß ich nach Angoulême gehe, meine Schuldigkeit tue und meinen Advokaten Cachan zu Rate ziehe ... Sie haben sehr recht daran getan, daß Sie gekommen sind ... Wer gewarnt ist, läßt sein Haus nicht abbrennen!«
Nach zweistündigem Kampf mußte Eva abziehen. Das unbesiegliche Argument hatte sie geschlagen: »Die Frauen verstehen nichts von Geschäften.« Sie war mit einer unbestimmten Hoffnung auf Erfolg gekommen und ging jetzt in größter Niedergeschlagenheit von Marsac nach Angoulême zurück. Sie langte gerade zur rechten Zeit zu Hause an, um die Ausfertigung des Urteils, das Séchard verurteilte, Métivier alles zu zahlen, in Empfang zu nehmen. In der Provinz ist ein Gerichtsvollzieher vor einer Haustür ein Ereignis; und Doublon kam seit einiger Zeit viel zu oft, als daß die Nachbarschaft nicht darüber geredet hätte. So wagte es Eva kaum mehr, auszugehen, sie hatte Furcht, Gezischel zu hören.
»Oh, mein Bruder, mein Bruder!« rief die arme Frau, als sie durch den Flur ging und die Treppe hinaufstieg, »ich kann dir nur verzeihen, wenn es sich um deinen ...«
»Ach,« sagte Séchard zu ihr, der ihr entgegenging, »es handelte sich darum, seinen Selbstmord zu verhüten.«
»Sprechen wir also nicht mehr davon«, antwortete sie sanft. »Die Frau, die ihn in diesen Schlund von Paris geführt hat, ist sehr strafwürdig! ... Und dein Vater, lieber David, ist sehr unbarmherzig! Wir müssen nun alles über uns ergehen lassen.«
Ehe noch David das zärtliche Wort sprechen konnte, das ihm auf den Lippen schwebte, klopfte es leise an die Tür, und es zeigte sich Marion, die den großen, schweren Kolb durch das Zimmer hinter sich herzog.
»Frau Séchard,« sagte sie, »Kolb und ich wissen, daß der Herr und die Frau viel durchzumachen haben; und da wir zusammen elfhundert Franken Ersparnisse haben, haben wir gedacht, wir könnten sie nicht besser anlegen als in den Händen unserer Frau ...«
»Unserer Frau«, wiederholte der Elsässer begeistert.
»Kolb,« rief David Séchard, »wir verlassen uns nie! Trage tausend Franken auf Rechnung zum Advokaten Cachan, aber verlange eine Quittung; das übrige behalten wir. Kolb, keine menschliche Macht darf dir ein Wort über das entreißen, was ich tue, über die Stunden meiner Abwesenheit, über das, was ich nach Hause bringe, und wenn ich dich zum Pflanzenholen schicke, du weißt schon, darf kein menschliches Auge dich sehen! Guter Kolb, man wird versuchen, dich zu verführen, man wird dir vielleicht tausend, zehntausend Franken bieten, damit du sprichst ...«
»Und wenn man mir Millionen anbietet, sage ich kein Wort! Ich bin doch Soldat gewesen.«
»Du weißt jetzt, was zu tun ist, geh und bitte Herrn Petit-Claud, bei der Übergabe dieses Betrags an Herrn Cachan anwesend zu sein.«
»Ja,« sagte der Elsässer, »ich hoffe eines Tages reich genug zu sein, um diesem Justizmenschen heimzahlen zu können. Mir gefällt sein Gesicht nicht.«
»Ein guter Mann,« sagte die dicke Marion, »er ist stark wie ein Türke und sanft wie ein Hammel. Mit dem wird eine Frau glücklich! Er allein hat den Gedanken gehabt, unsere Ersparnisse so anzulegen. Der Gute hat die Idee, bei den andern zu arbeiten, damit er uns nichts kostet.«
»Man müßte schon allein darum reich werden, um diese wackern Menschen belohnen zu können«, sagte Séchard zu seiner Frau.
Eva fand das alles ganz in Ordnung, sie war nicht verwundert, Menschen zu treffen, die ebenso hochherzig waren wie sie. Ihre Haltung hätte den stumpfesten Geschöpfen und selbst einem Gleichgültigen die ganze Schönheit ihres Charakters zeigen müssen.
»Sie werden reich werden, lieber Herr, Sie haben schöne Aussichten. Ihr Vater hat eben wieder ein Gut gekauft, es wird Ihnen schon einmal etwas bringen ...«
Diese Worte Marions, die sie sprach, um das Verdienstliche ihrer Tat zu verringern, verrieten mehr als alles andere die Güte und Feinheit ihres Herzens. –
Wie alle menschlichen Dinge hat das französische Prozeßverfahren seine Fehler, trotzdem dient es
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