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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wegen Luciens Ruchlosigkeit schwere Qualen ausstand, sehr bekümmerte, beschäftigte sich fortwährend mit seinem Problem; und so hatte er, während er von seinem Heim zu Petit-Claud ging, in der Zerstreuung an einem Brennesselstiel gekaut, den er mit andern Stielen ins Wasser gelegt hatte, um dadurch eine Verrottung der Pflanzenfasern zu erreichen, die den Grundstoff seines Papierbreies bilden sollten. Er wollte die mannigfachen Zermürbungen, wie das Entschlichten auf der Bleiche, das Weben und den Gebrauch all dessen, was aus Garn und Leinwand gemacht und schließlich zu Lumpen wird, durch entsprechende Prozeduren ersetzen. Als er, ziemlich zufrieden mit der Besprechung mit seinem Freund Petit-Claud, durch die Straßen ging, spürte er etwas zwischen den Zähnen: es war wie Teig, er nahm es heraus und legte es auf die Hand, strich es in die Breite und sah einen Papierbrei, der besser war als all die Zusammensetzungen, die ihm bisher gelungen waren; denn die Hauptfehler der Breie, die man aus pflanzlichen Stoffen gewinnt, ist der Mangel an Weichheit. So gibt das Stroh ein sprödes, fast metallisches und hartklingendes Papier. Solche Zufälle begegnen nur den kühnen Erforschern der natürlichen Ursachen.
    »Ich werde«, sagte er sich, »das Verfahren, das ich eben mechanisch und unwillkürlich eingeschlagen habe, durch eine Maschine und einen chemischen Stoff ersetzen.«
    Und er erschien vor seiner Frau in der Freude seines Glaubens an den Sieg.
    »Oh, mein Engel, sei unbesorgt!« sagte David, der sah, daß seine Frau geweint hatte. »Petit-Claud bürgt uns für einige Monate Ruhe. Das wird Kosten machen; aber er hat mir, als er mich hinausbegleitete, gesagt: ›Jeder Franzose hat das Recht, seine Gläubiger warten zu lassen, wenn er ihnen nur schließlich Kapital, Zinsen und Unkosten bezahlt.‹ Schön also! wir werden zahlen.«
    »Und wovon leben?« fragte die arme Eva, die an alles dachte.
    »Ach, das ist wahr!« erwiderte David und kratzte sich verlegen hinter dem Ohr.
    »Mutter kann unsern kleinen Lucien nehmen, und ich kann wieder an die Arbeit gehen«, sagte sie.
    »Eva! O meine Eva!« rief David und preßte seine Frau an sein Herz. »Eva, ganz hier in der Nähe, in Saintes, lebte im sechzehnten Jahrhundert einer der größten Männer, die Frankreich gehabt hat, denn er war nicht nur der Erfinder der Schmelzglasur, er war auch der glorreiche Vorgänger von Buffon und Cuvier, er fand vor ihnen die Wissenschaft der Geologie, dieses prächtige Genie! Bernard Palissy machte die Leiden der Erfinder durch, aber er sah auch seine Frau, seine Kinder und seinen ganzen Flecken gegen sich. Seine Frau verkaufte ihm seine Werkzeuge... Er irrte im Lande umher, niemand verstand ihn!... Er war gehetzt, und man zeigte auf ihn mit dem Finger!... Aber ich werde geliebt...«
    »Geliebter!« antwortete Eva und legte in das Wort all die Ruhe der Liebe, die ihrer selbst sicher ist. »Da kann man alles ausstehen, was der arme Bernard Palissy durchgemacht hat, der die Fayencen von Ecouen gemacht hat, den Karl IX. von der Bartholomäusnacht ausgenommen hat, der endlich im Alter reich und geehrt wurde und im Angesicht von Europa öffentliche Vorträge über seine ›Wissenschaft der Erdschichten‹ hielt, wie er es nannte.«
    »Solange meine Finger die Kraft haben, ein Bügeleisen zu halten, soll es dir an nichts fehlen!« rief die arme Frau mit dem Ausdruck der innigsten Opferwilligkeit. »Als ich bei Frau Prieur erste Arbeiterin war, hatte ich ein sehr kluges junges Mädchen zur Freundin, eine Cousine von Postel, Basine Clerget; eben hat mir nun Basine, als sie mir meine Wäsche brachte, mitgeteilt, daß sie das Geschäft von Frau Prieur übernimmt; ich werde bei ihr arbeiten ...«
    »Oh, du wirft nicht lange dort arbeiten!« versetzte Séchard, »ich habe etwas gefunden ...«
    Zum erstenmal wurde der erhabene Glaube an den Erfolg, der die Erfinder aufrecht hält und ihnen den Mut gibt, in den Urwäldern im Land der Entdeckungen weiterzuwandern, von Eva mit einem fast traurigen Lächeln aufgenommen, und David senkte düster den Kopf.
    »Oh, mein Freund! ich spotte nicht, ich lächle nicht, ich zweifle nicht!« rief die schöne Eva und warf sich vor ihrem Manne auf die Knie. »Aber ich sehe, wie sehr du recht hattest, über deine Versuche, über deine Hoffnungen das tiefste Schweigen zu bewahren. Ja, mein Freund, die Erfinder müssen die schweren Geburtswehen ihres Ruhmes vor allen Menschen verbergen, selbst vor ihren Frauen! Eine

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