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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sagten. Die beiden Brüder sanken sich schluchzend in die Arme.
    Es gibt im Leben nicht viele solche Augenblicke. Lucien fühlte eine Freundschaft in sich einströmen, die fest und treu war, eine von denen, auf die man nicht hoffen kann und die man sich vorwirft getäuscht zu haben. David spürte das Bedürfnis, zu verzeihen. Dieser großmütige und edle Erfinder wollte vor allem Lucien ermahnen und die Wolken verscheuchen, die zwischen Schwester und Bruder getreten waren. Vor diesen Bedürfnissen des Gefühls waren alle Gefahren, die der Geldmangel erzeugt hatte, verschwunden.
    Petit-Claud sagte zu seinem Klienten: »Gehen Sie nach Hause, benutzen Sie wenigstens Ihre Unvorsichtigkeit, umarmen Sie Frau und Kind ... und lassen Sie sich nicht sehen!« ›Wie schade!‹ sagte Petit-Claud für sich, als er allein auf der Place du Mûrier stand. ›Wenn jetzt Cérizet da wäre ...‹
    Als der Advokat so mit sich selbst sprach und den Bretterzaun entlang ging, der um den Platz herum angebracht war, wo sich heute der stolze Justizpalast erhebt, hörte er hinter sich ein Geräusch auf einem der Bretter, wie wenn einer mit dem Finger an eine Tür klopft.
    »Ich bin es«, sagte Cérizet, dessen Stimme aus der Ritze zwischen zwei Brettern, die schlecht gefugt waren, hervorkam. »Ich habe David von Houmeau herkommen sehen. Ich argwöhnte endlich, wo er versteckt war, jetzt weiß ich es sicher und weiß, wo er zu erwischen ist; aber um ihm eine Falle zu stellen, ist es nötig, daß ich etwas von Luciens Projekten erfahre, und Sie müssen dafür sorgen, daß sie bei mir vorbeikommen! Bleiben Sie wenigstens unter irgendeinem Vorwand hier in der Nähe. Wenn David und Lucien kommen, führen Sie sie so, daß sie bei mir vorbeikommen; sie werden glauben, allein zu sein, und ich höre dann die letzten Worte, mit denen sie sich verabschieden.«
    »Du bist ein Teufelskerl«, sagte Petit-Claud ganz leise. »Zum Donner!« rief Cérizet, »was täte man nicht, um zu bekommen, was Sie mir versprochen haben.«
    Petit-Claud verließ den Bretterzaun und ging auf der Place du Mûrier auf und ab, sah nach den Fenstern des Zimmers, wo die Familie beisammen war, und dachte an seine Zukunft, wie um sich Mut zu machen; denn die Gewandtheit Cérizets erlaubte ihm nun, den letzten Schlag zu führen. Petit-Claud war eine der durch und durch verschlagenen und verräterisch doppelzüngigen Naturen, die sich niemals vom Köder des Gegenwärtigen und von der Lockspeise irgendeiner momentanen Verbindung gefangen nehmen lassen, da sie den Wankelmut des menschlichen Herzens und die Strategie des Interessenkampfes kennen. Daher hatte er zuerst wenig auf Cointet gerechnet. Für den Fall, daß das Unternehmen mit seiner Verheiratung gescheitert wäre, ohne daß er das Recht gehabt hätte, den großen Cointet der Verräterei zu beschuldigen, hatte er sich schon gerüstet, ihm das Spiel zu verderben; aber seit seinem Erfolg im Hotel Bargeton spielte Petit-Claud ein offenes Spiel. Sein Plan, den er im Hinterhalt gehalten hatte und der nun unnütz geworden war, wäre für die politische Rolle, die er anstrebte, verhängnisvoll gewesen. Die Grundlage, auf der er seine künftige Macht hatte aufbauen wollen, war diese: Gannerac und einige Großkaufleute hatten angefangen, in Houmeau ein liberales Komitee zu bilden, das sich auf Grund der bestehenden Handelsbeziehungen mit den Führern der Opposition in Verbindung gesetzt hatte. Die Einsetzung des Ministeriums Villèle, das Ludwig XVIII. als Sterbender akzeptiert hatte, war die Veranlassung zu einem Frontwechsel der Opposition geworden, die seit dem Tode Napoleons auf das gefährliche Mittel der Verschwörungen verzichtete. Die liberale Partei organisierte in allen Provinzen ihr System des gesetzlichen Widerstandes; sie war bestrebt, sich der Wählermassen zu bemächtigen, um durch die Überzeugung der Menge zu ihrem Ziel zu gelangen. Petit-Claud war – als wütender Liberaler und Sprößling des Houmeau – der Förderer, die Seele und der geheime Ratgeber der Opposition der Unterstadt, die sich von der Aristokratie der Oberstadt unterdrückt fühlte. Er war der erste, der auf die Gefahr hinwies, daß die Cointet für sich allein über die Presse im Departement der Charente verfügten, wo die Opposition ebenfalls ein Organ haben müßte, um nicht hinter andern Städten zurückzubleiben.
    »Jeder von uns gebe Gannerac fünfhundert Franken, wir haben dann etliche zwanzigtausend Franken, um die Druckerei Séchard zu

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