Verlorene Illusionen (German Edition)
Salon, um seine Wirkungen in ihm vorzubereiten. Dabei konnte er mit Grazie und fein abgestuftem Lächeln Francis du Hautoy und den Präfekten begrüßen, die ihm dankten, und schließlich ging er zu Frau du Châtelet, indem er so tat, als ob er sie jetzt erst bemerkte. Diese Begegnung war so sehr das Ereignis des Abends, daß der Ehevertrag, unter den die hervorragenden Personen ihre Unterschrift setzen sollten, zu welchem Zwecke sie bald vom Notar, bald von Françoise ins Schlafgemach geleitet wurden, darüber vergessen wurde. Lucien ging mit ein paar Schritten auf Louise von Nègrepelisse zu, und dann sagte er mit der pariserischen Anmut, nach der sie sich seit ihrer Rückkehr gesehnt hatte, ziemlich laut zu ihr: »Frau Gräfin, verdanke ich Ihnen die Einladung, die mir das Vergnügen verschafft, morgen zum Diner in der Präfektur zu sein?«
»Sie verdanken sie nur Ihrem Ruhme«, erwiderte Louise trocken; sie war etwas betroffen über die angriffslustige Fassung des Satzes, den Lucien sich ausgedacht hatte, um den Hochmut seiner früheren Freundin zu kränken.
»Oh, Frau Gräfin,« sagte Lucien und setzte dabei eine Miene auf, die zugleich fein und herablassend war, »es ist mir unmöglich, Ihnen den Mann ins Haus zubringen, wenn er bei Ihnen in Ungnade steht.«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich ab, um den Bischof, den er jetzt eben zu gewahren schien, sehr respektvoll zu grüßen.
»Euer Gnaden waren fast prophetisch,« sagte er in überaus verbindlichem Tone, »und ich will versuchen, daß Sie es ganz und gar werden mögen. Ich schätze mich glücklich, heute abend hier zu sein, da ich Sie begrüßen und Ihnen meine Verehrung aussprechen darf.«
Lucien verwickelte den Bischof in eine Unterhaltung, die zehn Minuten dauerte. Alle Frauen sahen Lucien wie eine wunderbare Erscheinung an. Seine unerwartete Dreistigkeit hatte Frau du Châtelet sprachlos gemacht. Sie sah, wie Lucien Gegenstand der Bewunderung aller Frauen war; sie folgte von Gruppe zu Gruppe dem Bericht, den jede der anderen über die Worte, die sie gewechselt, ins Ohr flüsterte, wonach Lucien sie wie auf den Mund geschlagen und eine Miene gemacht hätte, als ob er sie verachtete. Ihr Herz zog sich vor gekränkter Eigenliebe zusammen.
›Wenn er nach diesem Wort nicht in die Präfektur käme, was für ein Skandal wäre das!‹ dachte sie. ›Woher kommt ihm dieser Stolz? Sollte sich Fräulein des Touches in ihn verliebt haben? ... Er ist so schön! Es heißt, daß sie nach dem Tode der Schauspielerin in Paris zu ihm geeilt sei! ... Vielleicht ist er hierher gekommen, um seinen Schwager zu retten, und befand sich in Mansle nur durch einen Zufall, wie er auf der Reise vorkommen kann, hinter unserer Kalesche. An jenem Morgen hat Lucien Sixtus und mir einen seltsamen Blick zugeworfen.‹
So gingen Louise tausend Gedanken durch den Kopf, und zum Unglück für sie sah sie, während sie sich ihnen hingab, immer auf Lucien, der mit dem Bischof plauderte, als wäre er der König des Salons: er grüßte niemanden und wartete, bis man zu ihm kam, sah sich mit einem mannigfach abgestuften Ausdruck und mit einer heiteren Leichtigkeit überall um, die des Herrn von Marsay, seines Vorbildes, würdig gewesen wäre. Er verließ den Bischof nicht einmal, um Herrn von Senonches zu begrüßen, der ganz in seiner Nähe stand.
Nach zehn Minuten hielt es Louise nicht mehr aus. Sie erhob sich, trat auf den Bischof zu und sagte zu ihm: »Womit unterhält man Sie, Monseigneur, daß Sie so häufig lächeln?«
Lucien trat einige Schritte zurück, um Frau du Châtelet diskret mit dem Prälaten allein zu lassen.
»Ah, Frau Gräfin, der junge Mann hat viel Geist! ... Er hat mir auseinandergesetzt, wie er Ihnen all seine Kraft verdankt...«
»Ich bin nicht undankbar, Frau Gräfin, ich nicht!« sagte Lucien und warf der Gräfin einen vorwurfsvollen Blick zu, der sie entzückte.
»Verständigen wir uns«, sagte sie und berief Lucien mit einem Wink ihres Fächers an ihre Seite. »Kommen Sie mit Monseigneur hier herein!... Seine Gnaden soll unser Richter sein.«
Und sie wies auf das Boudoir und führte den Bischof hinein.
»Sie läßt Monseigneur ein kurioses Handwerk treiben«, sagte eine Dame aus dem Lager der Chandour so laut, daß es gehört werden konnte.
»Unser Richter!« sagte Lucien und blickte nacheinander auf den Prälaten und die Präfektin; »gibt es denn also hier einen Schuldigen?«
Louise von Nègrepelisse setzte sich auf das Kanapee ihres
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