Verlorene Illusionen (German Edition)
früheren Boudoirs. Sie ließ Lucien und den Bischof links und rechts von ihr Platz nehmen und fing an zu sprechen. Lucien erwies seiner früheren Geliebten die Ehre, die Überraschung und das Glück, nicht zuzuhören. Er hatte die Haltung, die Gesten der Pasta im Tankred, wie sie sagt: ›O patria!‹ Seine Mienen schienen die berühmte Kavatine del Rizzo zu singen. Und schließlich machte der Schüler Coralies es möglich, daß ihm ein paar Tränen in die Augen traten.
»Ach, Louise, wie habe ich dich geliebt!« sagte er ihr in dem Augenblick, wo er sah, daß seine Tränen von der Gräfin gesehen worden waren, ins Ohr, ohne sich um den Prälaten oder das Gespräch zu kümmern.
»Trocknen Sie Ihre Tränen, oder Sie richten mich hier in diesem Boudoir noch einmal zugrunde«, sagte sie und beugte sich so nah zu ihm hinüber, daß der Bischof betreten war.
»Und es ist genug mit einem Mal«, versetzte Lucien lebhaft. »Dieses Wort der Cousine der Marquise d'Espard müßte alle Tränen einer Magdalena trocknen. Mein Gott! ich habe für einen Augenblick meine Erinnerungen, meine Illusionen, meine zwanzig Jahre wiedergefunden, und Sie wollen Sie mir...«
Der Bischof stand rasch auf und ging in den Salon zurück. Er sah ein, daß seine Würde zwischen diesem Paare gefährdet werden könnte. Alle ließen absichtlich die Präfektin und Lucien allein in dem Boudoir. Aber eine Viertelstunde später trat Sixtus, dem die Reden, das Kichern und die Art, wie die Damen sich immer wieder dem Eingang zum Boudoir näherten, mißfielen, mit einer mehr als bekümmerten Miene hinein und fand Lucien und Louise in sehr angeregtem Gespräch.
»Du kennst«, sagte Sixtus seiner Frau ins Ohr, »Angoulême besser als ich, möchtest du dich nicht auf die Frau Präfektin und auf die Regierung besinnen?«
»Mein Lieber,« sagte Louise und sah ihren verantwortlichen Redakteur mit einem solchen Hochmut von oben bis unten an, daß er zitterte, »ich spreche mit Herrn von Rubempré von Dingen, die wichtig für dich sind. Es handelt sich darum, einen Erfinder zu retten, der zum Opfer der niedrigsten Ränke ausersehen ist, und du mußt uns dabei helfen ... Was diese Damen angeht, und was sie von mir denken, so sollst du sehen, was ich tue, damit das Gift auf ihren Zungen gefriert.«
Sie ging, auf Luciens Arm gestützt, aus dem Boudoir und führte ihn zur Unterzeichnung des Ehevertrags. Mit dem ganzen Hochmut der großen Dame rauschte sie an seinem Arm durch den Salon.
»Unterschreiben wir zusammen«, sagte sie und reichte Lucien die Feder.
Lucien ließ sich von ihr die Stelle zeigen, wo sie unterschreiben würde, damit ihre Unterschriften nebeneinander zu stehen kämen.
»Herr von Senonches, hätten Sie Herrn von Rubempré noch erkannt?« sagte die Gräfin und zwang den anmaßenden Jägersmann, Lucien zu begrüßen.
Sie führte Lucien in den Salon und veranlaßte ihn, sich zwischen sie und Zéphirine auf das gefürchtete Kanapee in der Mitte des Raumes zu setzen. Dann begann sie, wie eine Königin auf ihrem Thron, zunächst mit leiser Stimme eine lebhafte Unterhaltung, an der sich einige ihrer alten Freunde und mehrere Frauen, die ihr den Hof machten, beteiligten. Bald wurde Lucien der Held eines Kreises, der sich um ihn bildete, die Gräfin brachte ihn auf das Leben von Paris zu sprechen, das er mit unglaublichem Witz satirisch darstellte. Er streute Anekdoten über die Berühmtheiten ein und verteilte wahre Leckerbissen von der Art, auf die die Provinzialen so erpicht sind. Man bewunderte den Geist, wie man vorher den Mann bewundert hatte. Die Frau Gräfin sah so beglückt drein, sie spielte so gut die Frau, die über ihr Werkzeug entzückt ist, sie replizierte ihm so geschickt, sie suchte mit so kompromittierenden Blicken Anerkennung für ihn, daß mehrere Frauen anfingen, in der gleichzeitigen Rückkehr Luciens und Louisens eine tiefe Liebe sehen zu wollen, die über irgendein doppeltes Mißverständnis den Sieg davongetragen hätte. Ein Ärger hätte vielleicht zu der unseligen Heirat mit Châtelet geführt, gegen die jetzt der Rückschlag gekommen wäre.
»Also«, sagte Louise um ein Uhr morgens leise zu Lucien, ehe sie sich erhob, »auf übermorgen. Wollen Sie recht pünktlich sein.«
Die Präfektin verabschiedete sich von Lucien, indem sie ihm überaus freundschaftlich zunickte, und sagte zum Grafen Sixtus, der ihren Hut holte, ein paar Worte.
»Wenn das, was meine Frau mir gesagt hat, wahr ist, lieber Lucien, dann zählen Sie auf
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