Verlorene Illusionen (German Edition)
mich«, sagte der Präfekt, als er später seiner Frau folgte, die, wie es in Paris üblich ist, ohne ihn weggegangen war. »Von heute abend an kann sich Ihr Schwager als frei betrachten.«
»Der Herr Graf ist mir das wohl schuldig«, erwiderte Lucien lächelnd.
»Nun haben wir verspielt«, sagte Cointet dem Petit-Claud, der Zeuge dieser Verabschiedung war, ins Ohr.
Petit-Claud war durch Luciens Erfolg wie vor den Kopf gestoßen und durch den Glanz seines Geistes und durch die Anmut, die er entwickelte, geradezu verblüfft. Er sah auf Françoise de la Haye und las auf ihren Mienen die Bewunderung für Lucien; sie schien ihrem Geliebten zu sagen: »Sei wie dein Freund.«
Ein Strahl der Freude zeigte sich auf Petit-Clauds Gesicht.
»Das Diner des Präfekten ist erst übermorgen; wir haben noch einen Tag Zeit, ich bürge für alles.«
»Nun, lieber Freund,« sagte Lucien um zwei Uhr morgens zu Petit-Claud, als sie zu Fuß nach Hause gingen, »ich kam, sah und siegte! In ein paar Stunden wird Séchard ein glücklicher Mann sein.« ›Nun weiß ich alles, was ich brauche‹, dachte Petit-Claud. »Ich dachte, du wärest bloß ein Dichter, und du bist auch ein Weltmann, das heißt, noch einmal ein Dichter sein«, antwortete er dann und schüttelte Lucien die Hand – zum letztenmal.
»Liebe Eva,« sagte Lucien und weckte seine Schwester, »gute Nachricht! In einem Monat hat David keine Schulden mehr!«
»Wieso?«
»Nun, siehst du, Frau du Châtelet trug unter ihrem Kleide meine alte Louise; sie liebt mich mehr als je und läßt durch ihren Mann einen Bericht ans Ministerium über unsere Entdeckung machen! So haben wir also nur noch einen Monat zu leiden, die Zeit, in der ich mich an dem Präfekten rächen und ihn zum glücklichsten Ehemann machen will.«
Eva glaubte noch zu träumen, als sie ihren Bruder so reden hörte.
»Als ich den kleinen grauen Salon wiedersah, in dem ich vor zwei Jahren wie ein Kind gezittert habe, als ich diese Möbel, die Gemälde und die Gesichter sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Wie Paris einem einen andern Kopf aussetzt!«
»Ist das ein Glück?« fragte Eva, die endlich ihren Bruder zu verstehen anfing. »Gute Nacht, du schläfst noch; morgen beim Frühstück reden wir weiter«, antwortete Lucien. –
Cérizets Plan war überaus einfach. Obwohl er zu dem Rüstzeug gehört, dessen sich die Gerichtsvollzieher in der Provinz bedienen, um ihre Schuldner zu packen, und obwohl sein Erfolg im allgemeinen zweifelhaft ist, mußte er diesmal gelingen; denn er beruhte ebensosehr auf der Kenntnis der Charaktere Luciens und Davids wie auf ihren Hoffnungen. Unter den jungen Arbeiterinnen, deren Don Juan der im Augenblick in außerordentlichen Diensten beschäftigte Faktor der Cointet war und die er beherrschte, indem er eine gegen die andere ausspielte, befand sich eine Plätterin von Basine Clerget, ein Mädchen, das fast ebenso schön war wie Frau Séchard. Sie hieß Henriette Signol, und ihre Eltern waren kleine Winzer, die auf einem Gut, zwei Meilen von Angoulême, an der Straße nach Saintes wohnten. Die Signol waren, wie alle Landleute, nicht reich genug, um ihr einziges Kind bei sich zu behalten; sie hatten sie also dazu bestimmt, in einen Dienst zu treten, das heißt Zofe zu werden. In der Provinz muß eine Zofe waschen und plätten können. Frau Prieur, deren Nachfolgerin Basine wurde, stand in so gutem Rufe, daß die Signol ihr ihre Tochter in die Lehre gaben und Kost und Logis bezahlten. Frau Prieur war eine von den alten Dienstherrinnen, die in der Provinz an ihren Schutzbefohlenen Mutterstelle vertreten. Sie lebte mit ihren Lehrmädchen, als ob sie ihre Töchter wären, führte sie zur Kirche und überwachte sie mit Sorgfalt. Henriette, eine schöne, schlanke, kräftige Brünette mit kühnem Blick und starkem, langem Haar, hatte eine lichte Gesichtsfarbe wie die Töchter des Südens, licht wie eine Magnolie. So war Henriette eins der ersten Wäschermädchen, die Cérizet ins Auge faßte; aber da sie die Tochter ehrbarer Landleute war, ergab sie sich erst, als die Eifersucht, das schlechte Beispiel und das verführerische Wort: »Ich heirate dich!« das Cérizet ihr gesagt hatte, als er zweiter Faktor bei der Firma Cointet geworden war, sie übertölpelt hatten. Als der Pariser erfuhr, daß die Signol für etliche zehn- bis zwölftausend Franken Weinberge und ein recht wohnliches Häuschen hatten, beeilte er sich, dafür zu sorgen, daß Henriette nicht die Frau eines andern
Weitere Kostenlose Bücher