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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sind die Tempelherren unserer Zeit: wir haben eine Lehre. Wie der Templerorden wurde unser Orden zerstört und aus den nämlichen Gründen: er hatte seinen Wert der Welt gleichgestellt. Wollen Sie Soldat sein, so will ich Ihr Hauptmann werden. Gehorchen Sie mir, wie eine Frau ihrem Manne, ein Kind seiner Mutter gehorcht, und ich garantiere Ihnen, daß Sie in weniger als drei Jahren Marquis von Rubempré sein werden. Sie heiraten eine der vornehmsten Töchter des Faubourg Saint-Germain und sitzen eines Tages in der Pairskammer. Wenn ich Sie nicht in diesem Augenblick mit meiner Unterhaltung aufgeheitert hätte, was wären Sie? Ein Leichnam, der unauffindbar in einem tiefen Schlammbette liegt; also strengen Sie einmal Ihre Poesie an!«
    Hier sah Lucien seinen Gönner neugierig an.
    »Der junge Mann, der hier in dieser Kalesche neben dem Abbé Carlos Herrera sitzt, dem Ehrendomherrn des Kapitels von Toledo, dem geheimen Botschafter Seiner Majestät Ferdinands VII. an Seine Majestät den König von Frankreich, der ihm eine Depesche bringt, in der vielleicht steht: ›Wenn Sie mich befreit haben, lassen Sie alle, die ich in diesem Augenblick zärtlich behandle, insbesondere aber diesen Botschafter, damit er wahrhaft verschwiegen sei, aufhängen‹, – dieser junge Mann«, sagte der Abbé, »hat nichts mehr mit dem Dichter gemein, der jetzt gestorben ist. Ich habe Sie aufgefischt, ich habe Ihnen das Leben gegeben, und Sie gehören mir wie das Geschöpf dem Schöpfer, wie in den orientalischen Märchen der Ifrit dem Geiste, wie der Itschoglan dem Sultan, wie der Körper der Seele! Ich will Sie mit mächtiger Hand auf dem Wege der Macht halten; ich verspreche Ihnen trotzdem ein Leben der Genüsse, der Ehren, der fortwährenden Feste ... Niemals wird es Ihnen an Geld fehlen ... Sie werden glänzen, Sie werden prangen, während ich, in den Schmutz der Gründungen gebückt, das glänzende Gebäude Ihres Glückes sichern werde. Ich für mein Teil liebe die Macht um der Macht willen! Ich werde mich immer über Ihre Genüsse, die mir versagt sind, freuen. Kurz, ich will mit Ihnen eins werden! Und wenn Ihnen einmal der Pakt zwischen Mensch und Dämon, zwischen Kind und Diplomat nicht mehr zusagt, können Sie immer noch ein kleines Fleckchen aufsuchen wie das, von dem Sie sprachen, und sich ins Wasser stürzen: ein bißchen mehr oder ein bißchen weniger werden Sie sein, was Sie jetzt sind: unglücklich oder entehrt.«
    »Für einen würdigen Geistlichen in höheren Jahren keine üble Leistung!« rief Lucien, der in einem seltsam benommenen Zustande war. Die Kalesche war an einer Poststation stehen geblieben.
    »Ich weiß nicht, welchen Namen Sie diesem kurzen Unterrichte geben wollen, mein Sohn. Ich nenne Sie meinen Sohn, denn ich adoptiere Sie und mache Sie zu meinem Erben. Was ich Ihnen sagte, ist das Gesetzbuch des Ehrgeizes. Es gibt nur eine kleine Zahl auserwählter Kinder Gottes. Von zwei Dingen eines: entweder muß man in ein Kloster gehen – und da finden Sie oft die große Welt im kleinen! – oder man muß sich diesem Gesetzbuch fügen.«
    »Vielleicht wäre es besser, nicht so klug zu sein«, sagte Lucien, der versuchte, der Seele dieses schrecklichen Priesters auf den Grund zugehen.
    »Wie!« versetzte der Domherr, »nachdem Sie gespielt haben, ohne die Spielregeln zu kennen, verlassen Sie jetzt die Partie, wo Sie stark geworden sind und sich mit einem kräftigen Geleitsmann einstellen? Und haben nicht einmal den Wunsch, Revanche zu nehmen? Wie! Sie haben keine Lust, die zu Ihren Füßen zu sehen, die schuld daran sind, daß Sie von Paris verjagt wurden?«
    Lucien schauderte, wie wenn ein bronzenes Instrument, ein chinesischer Gong, seine schrecklichen Töne von sich gegeben hätte, die so auf die Nerven fallen.
    »Ich bin nur ein demütiger Priester,« fuhr der Mann fort, und auf seinem Gesicht, das von der Sonne Spaniens wie kupferfarben geworden war, zeigte sich ein schrecklicher Ausdruck, »aber wenn Menschen mich gedemütigt, gefoltert, verraten, verkauft hätten, wie es Ihnen von den Menschen geschehen ist, von denen Sie mir erzählten, ich wäre wie der Araber der Wüste! Jawohl, Leib und Seele weihte ich der Rache. Ich würde mir nichts daraus machen, mein Leben am Galgen, in der Garotte, am Pfahl oder, wie bei Ihnen, unter der Guillotine zu enden, aber ich gäbe meinen Kopf nur her, nachdem ich meine Feinde zu Boden getreten hätte.«
    Lucien blieb still, er verspürte keine Lust mehr, diesen Priester

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