Verlorene Illusionen (German Edition)
Scott, der Don Quijote von Cervantes?«
»Und was werden Sie uns so schaffen?« fragte Châtelet.
»Solche Schöpfungen vorher ankündigen,« antwortete Lucien, »hieße das nicht, sich ein Patent als Genie ausstellen? Und überdies, diese himmlischen Schöpfungen verlangen eine lange Erfahrung in der Welt, ein Studium der Leidenschaften und der menschlichen Interessen, die mir noch fehlen müssen; aber ich fange an«, sagte er bitter und warf einen Rächerblick auf den Kreis. »Der Geist trägt sein Kind lange bei sich, bis...«
»Sie werden eine schwere Niederkunft haben«, unterbrach ihn Herr du Hautoy.
»Ihre treffliche Mutter kann Ihnen beistehen«, sagte der Bischof.
Dieses so geschickt vorbereitete Wort, diese Rache, auf die man gewartet hatte, ließ in allen Augen einen Strahl der Freude aufleuchten. Auf alle Lippen kam ein Lächeln der aristokratischen Genugtuung, das durch die Albernheit Herrn von Bargetons, der nachträglich zu lachen anfing, verstärkt wurde.
»Monseigneur, Sie sprechen in diesem Augenblick ein wenig zu geistlich für uns, die Damen hier verstehen Sie nicht«, sagte Frau von Bargeton und ließ durch dieses einzige Wort das Lächeln verschwinden; alle blickten sie erstaunt an. »Ein Dichter, der alle seine Eingebungen in der Bibel findet, hat in der Kirche eine wahre Mutter. Herr von Rubempré, sprechen Sie uns Ihren ›Johannes auf Patmos‹ oder ›Das Festmahl des Balthasar‹; Monseigneur wird da sehen, daß Rom noch immer die Magna Parens des Vlrgil ist.«
Die Frauen tauschten ein Lächeln aus, als sie Naïs diese zwei lateinischen Worte aussprechen hörten.
Im Beginn des Lebens können die stolzesten und tapfersten Charaktere der Entmutigung nicht immer entgehen. Dieser Streich hatte Lucien zuerst wie in die Tiefe untergetaucht; aber er stieß mit dem Fuß auf den Grund, kam wieder nach oben und schwor sich, über diese Welt Herr zu werden. Wie der Stier, der von tausend Pfeilen getroffen ist, erhob er sich wütend und gehorchte der Stimme seiner Louise, um »Johannes auf Patmos« zu deklamieren; aber die meisten Spieltische hatten ihre Spieler angezogen, die in ihr gewohntes Geleise zurückfielen, in dem sie ein Vergnügen fanden, das die Poesie ihnen nicht gegeben hatte. Dann wäre auch die Rache ihrer gereizten Eigenliebe keine völlige gewesen, wenn man nicht dieser heimischen Poesie negative Mißachtung bezeigt und von Lucien und Frau von Bargeton abgefallen wäre. Jeder schien etwas anderes zu tun zu haben: einer mußte mit dem Präfekten über eine Kreisstraße sprechen, eine andere begann davon zu reden, man könnte in die Unterhaltung des Abends Abwechslung bringen und ein wenig Musik machen. Die vornehme Gesellschaft von Angoulême, die sich auf dem Gebiet der Poesie schlecht bewandert fühlte, war besonders neugierig, die Meinung der Rastignac und der Pimentel über Lucien zu erfahren, und mehrere Personen begaben sich zu ihnen. Der große Einfluß, den diese beiden Familien im Departement ausübten, wurde in großen Augenblicken immer anerkannt; jeder beneidete sie und jeder machte ihnen den Hof, denn alle sahen sie voraus, daß sie ihre Protektion einmal nötig haben könnten.
»Wie finden Sie unsern Dichter und seine Poesie?« fragte Jacques die Marquise, bei der er oft zur Jagd gewesen war.
»Aber für Provinzverse sind sie nicht schlecht,« sagte sie lächelnd; »überdies kann ein so schöner Dichter nichts schlecht machen.«
Jeder fand dieses Urteil entzückend und wiederholte es, wobei sie mehr Bosheit hineinlegten, als die Marquise beabsichtigt hatte. Châtelet wurde nunmehr gebeten, Herrn von Bartas zu begleiten, der die große Arie des Figaro verhunzte. Nachdem die Musik einmal hereingelassen worden war, mußte man sich die Ritterromanze von Châtelet vorsingen lassen, die Chateaubriand in der Kaiserzeit verfaßt hatte. Dann kamen die Stücke zu vier Händen, die auf Verlangen der Frau von Brossard, welche nachher das Talent ihrer lieben Kamilla in den Augen des Herrn von Séverac leuchten lassen wollte, von jungen Mädchen vorgetragen wurden.
Frau von Bargeton war über die Geringschätzung verletzt, die die ganze Gesellschaft ihrem Dichter gegenüber zum Ausdruck brachte, und setzte Verachtung gegen Verachtung: sie ging, solange man musizierte, in ihr Boudoir. Ihr folgte der Bischof, den sein Generalvikar über die tiefe Ironie seines unfreiwilligen Witzes aufgeklärt hatte und der sie wieder gutmachen wollte. Fräulein von Rastignac schlich sich
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