Verlorene Illusionen (German Edition)
Teint, die verblüht war, fuchsblondes Haar hatte, deren Figur eckig und steif war, die eine gezierte und bombastische, völlig provinzmäßige Art zu sprechen hatte, und die vor allem schlecht gekleidet war! Wirklich, die Falten eines altmodischen Kleides von Paris zeugen noch von Geschmack, man kann etwas damit anfangen, man ahnt, was es einmal war, aber ein altmodisches Provinzkleid ist unmöglich, ist lächerlich. Das Kleid und die Frau ließen jede Grazie und Frische vermissen, der Samt war ebenso wie der Teint alt und fleckig. Lucien schämte sich, diese Gestalt von Fischbein geliebt zu haben, und nahm sich vor, den ersten Tugendanfall seiner Louise zu benutzen, um sie zu verlassen. Mit seinen vorzüglichen Augen sah er die Lorgnetten sich auf die Aristokratenlogen richten. Ohne Zweifel richteten die elegantesten Damen prüfende Blicke auf Frau von Bargeton, denn sie lächelten alle, wenn sie unter sich sprachen. Wenn Madame d'Espard aus den Bewegungen und dem Lächeln der Damen den Grund ihrer ironischen Bemerkungen erriet, so war sie durchaus unempfindlich dagegen. Zunächst mußte jeder in ihrer Gefährtin die arme Verwandte aus der Provinz erkennen, vor der keine Pariser Familie geschützt ist. Ferner hatte ihr ihre Cousine etwas ängstlich von der Toilette gesprochen, und sie hatte sie beruhigt, da sie sich überzeugte, daß Anaïs, wenn sie erst einmal angezogen war, bald die Pariser Manieren lernen würde. Es fehlte Frau von Bargeton zwar an Übung, aber sie hatte den angeborenen Stolz einer Adligen und jenes Undefinierbare, das man Rasse nennen kann. Am kommenden Montag würde es also schon anders aussehen. Überdies wußte die Marquise, daß das Publikum, wenn es erst erführe, daß diese Frau ihre Cousine wäre, seine Spöttereien einstellen und eine neue Probe abwarten würde, ehe es mit seinem Urteil fertig wäre. Lucien ahnte nicht, was für Veränderungen ein Schal um den Hals Louisens, ein hübsches Kleid, eine elegante Frisur und die Ratschläge Madame d'Espards an ihr hervorbringen könnten. Als sie die Treppe hinaufgingen, hatte die Marquise schon ihrer Cousine gesagt, sie sollte ihr Taschentuch nicht offen in der Hand tragen. Der gute oder schlechte Ton hängt von tausend Kleinigkeiten dieser Art ab, die eine geistvolle Frau ebenso schnell begreift, wie sie gewisse Frauen niemals lernen. Frau von Bargeton, die eifrig und voll guten Willens war, besaß mehr als genug Verstand, um zu merken, worin sie Fehler beging. So war Frau d'Espard gewiß, daß sie mit ihrer Schülerin Ehre einlegte, und unterzog sich gern ihrer Ausbildung. Es hatte sich überdies zwischen diesen beiden Frauen ein Bündnis ergeben, das durch ihre beiderseitigen Interessen befestigt wurde. Frau von Bargeton widmete dieser Göttin des Tages einen Kultus, deren Manieren, deren Geist und deren ganze Umgebung sie verführt, geblendet und bezaubert hatten. Sie hatte in Madame d'Espard die geheime Macht der ehrgeizigen großen Dame erkannt und sich gesagt, sie würde ans Ziel gelangen, wenn sie sich zum Trabanten dieses Gestirns machte; sie hatte sie also rückhaltlos bewundert. Die Marquise war für diese naive Bewunderung nicht unempfindlich gewesen, sie nahm Interesse an ihrer Cousine und fand sie arm und hilfsbedürftig; denn es paßte ihr ganz gut, eine Schülerin zu haben, und sie war zufrieden, in Frau von Bargeton eine Art Hofdame zu besitzen, eine Sklavin, die ihr Lob sänge. Ein solcher Schatz war unter den Frauen von Paris noch seltener als ein begeisterter Kritiker in der Zunft der Literaten. Indessen zeigte sich die Neugier des Publikums zu deutlich, als daß es die Neuangekommene nicht bemerkt hätte, und Madame d'Espard wollte sie freundlich in bezug auf diese Unruhe auf eine falsche Spur bringen.
»Wenn man uns Besuch macht,« sagte sie zu ihr, »erfahren wir vielleicht, welchem Umstand wir die Ehre dieses Interesses von seiten dieser Damen verdanken.«
»Ich fürchte sehr, mein altes Samtkleid und meine Angoulêmer Erscheinung wird die Pariserinnen amüsieren«, sagte Frau von Bargeton lachend. »Nein, Sie sind es nicht, es muß da etwas sein, was ich mir nicht erklären kann«, fügte sie hinzu und wandte sich dem Dichter zu, den sie zum erstenmal betrachtete und seltsam gekleidet fand.
»Da ist Herr du Châtelet«, sagte in diesem Augenblick Lucien und zeigte mit dem Finger nach der Loge der Frau von Sérizy, wo der alte, wie ein Jüngling herausgeputzte Geck eben eintrat.
Bei diesem Deuten mit dem Finger
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