Verlorene Liebe
zu faulenzen, oder Ed dabei zu helfen, die Wände zu verputzen. Trotzdem war Grace froh, daß er zum Dienst mußte. Schließlich gab es einiges zu überdenken, und das konnte sie am besten, wenn sie allein war. Außerdem erhielt sie so Gelegenheit, den zweiten Telefonapparat anschließen zu lassen, ohne ihm lange Erklärungen abgeben zu müssen. Dazu würde es noch früh genug kommen.
Grace hatte vor, den Lockvogel zu spielen. Das konnte sie nur, wenn sie bei Fantasy anfing. So lange, wie es sich als notwendig erweisen sollte – bis der Mörder gefaßt war –, wollte sie die Abende damit verbringen, sich am Telefon mit fremden Männern zu unterhalten. Und früher oder später würde einer von ihnen persönlich bei ihr auftauchen.
Ed konnte ja ruhig das Puzzle auf seine Weise zusammensetzen, sie aber wollte direkt ins Zentrum vorstoßen und widerspenstige Teile zurechtstutzen.
Grace war es nicht wohl in ihrer Haut gewesen, als sie sich die Pistole gekauft hatte. In Manhattan hatte sie nie das Gefühl gehabt, sich bewaffnen zu müssen. Sie wußte natürlich, daß in der Metropole allerlei Gefahren lauerten, aber meist nur für diejenigen, die sich zur falschen Zeit in der falschen Gegend befanden. Grace hingegen hatte sich in der riesigen Stadt stets sicher gefühlt und es genossen, sich inmitten der Menge auf den vertrauten Straßen zu bewegen. Erst hier, in diesem ruhigen Vorort des viel kleineren Washington, verspürte sie das Bedürfnis, sich mit einer Waffe versorgen zu müssen.
Sie hatte sich eine kleine 32er mit kurzem Lauf zugelegt. Die Automatik sah aus, als könnte man damit einen Gegner ausschalten. Natürlich kannte Grace sich im Gebrauch von Schußwaffen aus. Das war Bestandteil ihrer Recherchen gewesen. Sie hatte Stunden auf dem Schießstand zugebracht, um ein Gefühl für Revolver, automatische Waffen und dergleichen zu bekommen und vor allem, um zu erfahren, wie es sich anfühlte, wenn man abdrückte. Man hatte ihr dort gesagt, sie besitze ein sicheres Auge, und eine ruhige Hand. Aber als Grace die Waffe gekauft hatte, war sie voller Zweifel gewesen, ob es ihr wirklich möglich sein würde, diese zierlichen kleinen Patronen auf ein Lebewesen abzufeuern.
Sie legte die Automatik in die Schublade ihres Nachttischs und versuchte, sie zu verdrängen.
Der Morgen verging, während sie dem Mann von der Telefongesellschaft Kaffee brachte und immer wieder einen Blick aus dem Fenster warf. Nicht auszudenken, wenn Ed vorzeitig zurückkam. Sie wollte ihn lieber vor vollendete Tatsachen stellen. Andererseits konnte er natürlich auch nichts verbieten oder sie sonstwie von ihrem Vorhaben abbringen. Zumindest half es ihr, wenn sie sich das immer wieder sagte. Doch sicherheitshalber schaute sie von Zeit zu Zeit hinüber aufs Nachbargrundstück, trank ihren Kaffee und hörte dem Installateur zu, wie er ihr von den Heldentaten seines Sohnes in der Junior-Liga vorschwärmte.
Wie sie Ed gegenüber bereits erwähnt hatte, faßten alle möglichen Menschen sofort Vertrauen zu ihr. Meist schon wenige Minuten, nachdem sie Grace kennengelernt hatten, fingen sie an, ihr das zu berichten, was sie sonst nur im Kreis ihrer Familie oder ihren besten Freunden mitteilten. Grace hatte sich daran gewöhnt und dachte sich nichts weiter dabei. Aber heute hielt sie es für ratsamer, die Gründe dafür zu erforschen.
Lag es an ihrem Gesicht, daß die Menschen gern mit ihr sprachen? Gedankenverloren strich sie sich über die Wange. Ja, das war bestimmt ein Bestandteil dieses Phänomens, aber der Hauptgrund lag wohl darin zu suchen, daß sie eine gute Zuhörerin war, wie Ed einmal bemerkt hatte. Oftmals hörte sie nur mit einem Ohr hin, während sie in Gedanken einen Handlungsstrang oder eine Figur in ihrem neuen Roman ausfeilte. Und allem Anschein nach reichte das den Menschen, die ihr so freimütig allerlei erzählten, vollkommen aus.
Die Menschen entwickelten wirklich rasch Vertrauen zu ihr. Und genau darauf basierte ihr Plan. Grace wollte alles daransetzen, daß auch Kathleens Mörder Zutrauen faßte. Und wenn er dann glaubte, sie gut genug zu kennen, würde er sie bestimmt aufsuchen. Sie befeuchtete sich die Lippen und lächelte, als der Mann von der Telefongesellschaft ihr berichtete, wie hervorragend sich sein Sohn im dritten Viertel des letzten Spiels geschlagen hatte. Und wenn der Täter kam, war sie auf ihn vorbereitet. Grace würde sich ganz bestimmt nicht wie die anderen Opfer überraschen lassen und vor Entsetzen wie
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