Verlorene Liebe
nickte und taumelte zur Tür. »Ja, natürlich. Neun-eins-eins.« Er sah ihr nach, wie sie ins Wohnzimmer lief, und wandte sich dann ihrer Schwester zu.
Mit Neun-eins-eins war Kathleen Breezewood nicht mehr zu helfen. Ed kniete sich neben die Tote und wurde übergangslos zum Detective.
4. Kapitel
Alles verlief wie in einer Szene aus ihren Romanen. Nach dem Mord kam die Polizei. Einige von ihnen würden übermüdet sein, andere nicht bereit, irgendeine Auskunft zu geben, und wieder andere würden zynische Sprüche klopfen. Kam ganz auf die Stimmung ihres Buches an. Manchmal auch auf die Persönlichkeit des Opfers. In jedem Fall aber auf ihre Fantasie.
Die Beamten erschienen in einer dunklen Gasse oder in einem Hobbyraum. Die Erschaffung der richtigen Atmosphäre war stets der Knackpunkt in der Beschreibung einer solchen Szene. In dem Buch, an dem Grace gerade schrieb, ging es um einen Mord in der Bibliothek des Außenministers. Es gefiel ihr, den Geheimdienst, die hohe Politik und Spionage in ihren Roman einfließen zu lassen. Und natürlich die Polizei.
In ihrem neuesten Werk ging es um Gift und darum, daß jemand aus dem falschen Glas getrunken hatte. Ein Mord wirkte um so interessanter, je verwickelter die Hintergründe waren. Grace war mit dem Plot, den sie entwickelt hatte, höchst zufrieden. Noch hatte sie sich nicht entschieden, wer der Mörder sein sollte. Diese Frage ließ sie auch für sich selbst möglichst bis zum Schluß offen. Sie ließ der Handlung ihren Lauf und war oft genug selbst überrascht, wer sich am Ende als Täter entpuppte.
Denn der Bösewicht beging immer einen gravierenden Fehler.
Grace saß auf dem Sofa, schwieg und starrte vor sich hin. Aus irgendeinem Grund blieb sie immer wieder an ihrem letzten Gedanken hängen. Der Selbstschutzmechanismus in ihrem Kopf hatte die Hysterie in einen lähmenden Schock verwandelt. Ein gelungener Mord erzielte noch mehr Wirkung, wenn jemand wie betäubt oder in völliger Verwirrung zurückblieb. Eine geradezu narrensichere Methode, den Leser in den Bann zu ziehen. Grace hatte immer schon ein besonderes Talent dafür gehabt, große Gefühle auszumalen: Kummer und Schmerz, Zorn, Herzeleid. Sobald sie ihre Charaktere verstand, fühlte sie geradezu mit ihnen. Wenn dieser Moment gekommen war, konnte sie stunden-, mitunter tagelang an der Geschichte arbeiten, die Emotionen und Beweggründe ausfeilen, ja geradezu in ihnen aufgehen und sich an den lichten wie dunklen Seiten der menschlichen Natur begeistern. Und danach war sie durchaus in der Lage, diese Gefühle ebenso einfach wie den Computer auszuschalten und ihr eigenes Leben fortzusetzen.
Schließlich war es doch nicht mehr als eine Geschichte, und im letzten Kapitel würde die Gerechtigkeit obsiegen.
Sie registrierte, welchen Tätigkeiten die Männer nachgingen, die durch das Haus liefen: der Gerichtsmediziner, die Männer von der Spurensicherung, die Polizeifotografen.
In einem Roman hatte Grace einen Polizeifotografen als Protagonisten eingesetzt und mit geradezu perversem Vergnügen die blutigen Details des Todes ausgemalt. Sie kannte die Prozedur, die hier vor sich ging, weil sie sie selbst wieder und wieder dargestellt hatte, und mittlerweile konnte sie das ohne Schaudern zu Papier bringen. Die Farben und Gerüche eines Mordes waren ihr nicht mehr fremd, wenigstens ihrer Fantasie nicht. Sie glaubte, wenn sie jetzt nur fest genug die Augen schlösse, würde das alles hier verschwinden, und dann könnte sie alles nach ihren Vorstellungen neu arrangieren, die mitspielenden Personen in Charaktere verwandeln, die ihrer Kontrolle unterlagen, Charaktere, die in ihrem Kopf bereitstanden und die sie nach Belieben herausnehmen oder hinzufügen konnte.
Nur ihre Schwester nicht. Nicht Kathy.
Grace zog die Beine an und nahm sich vor, den Plot umzuschreiben. Sie würde die Geschichte umändern, den Mord auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und die Figuren neu strukturieren. Grace wollte so lange an allem herumfeilen, bis die Sache nach ihren Vorstellungen verlief. Dazu mußte sie sich nur fest genug konzentrieren. Sie schloß wieder die Augen, schlang die Arme fest um ihre Brust und rang darum, alles vergehen zu lassen.
»Sie hat es ihm nicht leicht gemacht«, murmelte Ben, während er dem Gerichtsmediziner bei der Untersuchung der Leiche zusah. »Ich wette, sie stellen fest, daß einiges von dem Blut dem Mörder gehört. Und vielleicht stoßen wir an der Telefonschnur auf Fingerabdrücke.«
»Wie
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