Verlorene Liebe
Stimme hätte fester klingen müssen. Schließlich war sie von beiden immer die Stärkere gewesen. »Ich mache uns sofort einen Tee.«
In der Küche stellte sie den Wasserkessel auf den Herd und beschäftigte sich dann damit, nach Tassen und Untertellern zu suchen. »Kath hat immer auf Ordnung gehalten. Ich muß jetzt nicht mehr tun, als mich daran zu erinnern, wo meine Mutter das Geschirr aufzubewahren pflegte, und …« Grace’ Stimme erstarb. Ihre Mutter. Sie mußte die Eltern anrufen.
Tut mir leid, Mom, tut mir wahnsinnig leid. Aber ich war nicht da und konnte nichts dagegen tun.
Nein, nicht jetzt, sagte sie sich, während sie umständlich Teebeutel in die Tassen legte. Sie wollte jetzt nicht an ihre Eltern denken. »Ich vermute, Sie nehmen keinen Zucker, oder?«
»Richtig.« Ed stand verlegen da und wünschte, Grace würde sich endlich hinsetzen. Ihre Bewegungen waren relativ normal, aber im Gesicht war sie leichenblaß. Seit er sie gefunden hatte, wie sie sich über ihre Schwester beugte, war die Farbe nicht in ihre Züge zurückgekehrt.
»Und Sie? Sie sind doch Detective Paris, Eds Partner, nicht wahr?«
»Nennen Sie mich Ben.« Er legte eine Hand auf einen Stuhlrücken und zog den Stuhl unter dem Tisch hervor. »Ich nehme zwei Löffel Zucker.« Ebenso wie Ed war auch ihm ihre Blässe aufgefallen, aber er erkannte auch ihre Entschlossenheit, diese Sache durchzustehen. Grace McCabe war weniger zerbrechlich als vielmehr spröde, dachte er, und sie erinnerte ihn an ein Stück Glas, das nur in zwei Teile, nicht aber in tausend Scherben zerbricht.
Als sie die Tassen auf den Tisch stellte, warf sie einen Blick auf die Hintertür. »Durch die ist er hereingekommen, nicht wahr?«
»Ja, sieht ganz so aus.« Ben zückte sein eigenes Notizbuch und legte es neben die Tasse. Grace hielt ihren Kummer zurück, und als Polizist konnte er nicht anders, als diesen Moment zu nutzen. »Tut mir leid, daß wir Ihnen das jetzt zumuten müssen.«
»Macht nichts.« Sie hob die Tasse an den Mund und trank einen kleinen Schluck. Die heiße Flüssigkeit füllte ihren Mund aus, aber sie schmeckte nach nichts. »Eigentlich kann ich Ihnen nicht viel berichten. Als ich das Haus verließ, saß Kathleen in ihrem Arbeitszimmer, weil sie noch etwas durchsehen wollte. Ich bin gegen achtzehn Uhr dreißig gegangen, und als ich zurückkehrte, dachte ich zuerst, meine Schwester sei bereits zu Bett gegangen. Sie hatte das Verandalicht nicht eingeschaltet.« Details, dachte sie, während sie gegen eine neue Hysteriewoge ankämpfte. Die Polizei benötigte ebenso wie ein guter Roman Details. »Ich bin gleich zur Küche gegangen, und auf dem Weg dorthin fiel mir auf, daß die Tür zu ihrem Arbeitszimmer offenstand und das Licht darin nicht gelöscht war. Ich bin dann hineingegangen.« Sie hob wieder die Tasse, versteckte sich dahinter und sperrte aus ihrem Bewußtsein all das aus, was danach geschehen war.
Da Ed bei ihr gewesen war, brauchte Ben sie nicht zu bedrängen. Ed wußte genauso gut wie sie, wie es dann weitergegangen war. Deswegen konnte Ben sich anderen Fragen widmen: »War Ihre Schwester mit jemandem liiert?«
»Nein.« Grace entspannte sich ein wenig. Sie würden über andere, über logische Dinge reden, und nicht über das Unfaßbare, was sich jenseits der Tür zum Arbeitszimmer abgespielt hatte. »Kathleen hatte gerade eine ziemlich unschöne Scheidung hinter sich und war noch lange nicht darüber hinweg. Sie hat sich lieber in die Arbeit gestürzt und darauf verzichtet, neue Bekanntschaften zu schließen. Ihr ganzes Streben und Denken war einzig und allein darauf ausgerichtet, genug Geld zusammenzubekommen, um einen Prozeß anzustrengen und das Sorgerecht für ihren Sohn zurückzuerhalten.«
Kevin. Du lieber Himmel, Kevin … Grace nahm die Tasse in beide Hände und trank einen Schluck.
»Ihr Mann war Jonathan Breezewood III. aus Palm Springs. Vornehme Familie und alter Reichtum. Und ein richtiges Charakterschwein.« Ihr Blick wurde hart, als sie noch einmal zur Hintertür sah. »Vielleicht finden Sie ja bei den Ermittlungen heraus, daß er einen Flug an die Ostküste gebucht hat.«
»Haben Sie irgendwelche Gründe zu der Annahme, der Ex-Mann Ihrer Schwester habe ihr nach dem Leben getrachtet?«
Sie sah Ed an. »Nun ja, die beiden sind nicht gerade als gute Freunde auseinandergegangen. Er hatte sie jahrelang betrogen, bis sie schließlich einen Privatdetektiv auf ihn ansetzte und sich an einen Anwalt wandte. Möglicherweise
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