Verlorene Liebe
nicht?« Noch ehe die beiden Polizisten darauf antworten konnten, schüttelte sie heftig den Kopf. »Nein, nein, ich will das jetzt nicht unnötig aufbauschen.« Grace sprang auf und fand in dem Schrank neben dem Fenster eine Flasche Brandy. Sie besorgte sich einen Cognacschwenker und füllte ihn zur Hälfte. »Gibt es noch mehr Fragen?«
Ed hätte am liebsten ihre Hand genommen, ihr über das Haar gestrichen und erklärt, sie solle sich keine Sorgen mehr machen. Aber er war Polizist genug, um die Pflicht an die erste Stelle zu setzen.
»Grace, haben Sie eine Ahnung, warum im Arbeitszimmer Ihrer Schwester zwei verschiedene Telefonanschlüsse installiert sind?«
»Ja.« Sie nahm einen tiefen Schluck und dann noch einen. »Es besteht wohl nicht die Möglichkeit, das streng vertraulich zu behandeln, oder?«
»Wir werden tun, was wir können.«
»Kathleen wäre es sicher nicht recht, wenn das bekannt würde.« Sie ließ sich wieder nieder und hielt den Schwenker zwischen den Händen. »Meine Schwester hat immer großen Wert auf ihre Privatsphäre gelegt. Hören Sie, ich glaube wirklich nicht, daß der zweite Anschluß irgend etwas mit dieser Sache zu tun hat.«
»Grace, jede Kleinigkeit kann uns weiterhelfen.« Ed wartete, bis sie noch einmal getrunken hatte. »Und jetzt kann es Kathleen ohnehin nicht mehr weh tun.«
»Nein, sicher nicht.« Der Brandy half ihr nicht besonders, mußte sie sich eingestehen, aber ihr wollte keine bessere Medizin gegen die Übelkeit in ihrem Innern einfallen, und so blieb sie dabei. »Ich habe Ihnen doch schon erzählt, daß meine Schwester einen Anwalt nehmen wollte, um ihren Sohn zurückzubekommen. Um gegen Jonathan etwas zu erreichen, mußte es schon ein sehr guter Anwalt sein, und mit einem Lehrerinnengehalt kann man sich solche Leute nicht leisten. Von mir wollte sie nichts annehmen. Kathy war viel zu stolz dazu, und überhaupt hat sie sich immer dagegen gewehrt, von … Aber lassen wir das.« Grace atmete tief durch. Der Brandy war direkt in ihren Magen geströmt und zettelte dort einen Aufruhr an. Trotzdem nahm sie noch einen Schluck. »Der zweite Anschluß ist … war für ihre Nebentätigkeit. Meine Schwester hat abends für die Firma Fantasy, Incorporated, gearbeitet.«
Ben runzelte die Stirn, während er sich das notierte. »Fantasy-Telefon?«
»Das ist eine verharmlosende Umschreibung.« Grace seufzte und rieb sich mit den Handwurzeln die Augen. »In Wahrheit verbirgt sich dahinter Telefonsex. Ich war erstaunt, wie innovativ meine Schwester doch sein konnte, und ich habe sogar daran gedacht, das in meinen Roman einzuarbeiten.« Ihr Magen drehte sich um, und sie griff nach einer Zigarette. Ben kam ihr zu Hilfe, als ihre Finger zu sehr zitterten, um sie anzuzünden. »Danke.«
»Ganz ruhig«, sagte er ihr.
»Mir geht es gut. Kathleen hat dabei nicht schlecht verdient, und mir kam die ganze Angelegenheit relativ harmlos vor. Kein Kunde hat je ihren richtigen Namen oder ihre Telefonnummer erfahren, weil jeder Anruf über das Hauptbüro der Firma an sie vermittelt wurde. Sie hat dann den Kunden oder Freier oder wie auch immer zurückgerufen.«
»Hat Sie Ihnen gegenüber jemals einen Kunden erwähnt, der, äh, etwas zu enthusiastisch auf ihren Anruf reagiert hat?«
»Nein. Ich bin der festen Überzeugung, daß sie mir das gesagt hätte. Gleich am ersten Abend hat sie von dieser Tätigkeit gesprochen. Mir kam es so vor, als amüsiere es sie, Männern solche Sachen zu erzählen, vielleicht hat die ganze Geschichte sie auch etwas gelangweilt. Wenn ein Kunde in näheren Kontakt mit ihr hätte treten wollen, hätte er keine Möglichkeit gehabt, an ihre Privatadresse zu gelangen. Wie ich schon erwähnte, hat sie einen Künstlernamen verwendet. Ach ja, sie sagte noch, sie mache keine abartigen Geschichten, nur normalen Sex.« Grace legte eine Hand auf den Tisch. Genau hier hatten sie an jenem ersten Abend gesessen, während draußen die Sonne untergegangen war. »Keine Sado-Maso-Geschichten, kein Bondage und ähnliches. Und Kathleen hat sich ihre Kunden sehr genau ausgesucht. Wenn ein Kunde etwas, na, sagen wir, Unkonventionelles wünschte, mußte er sich eine andere Telefondame suchen.«
»Und sie hat sich nie mit einem ihrer Kunden privat getroffen?« fragte Ed.
Dafür hatte Grace natürlich keinen Beweis, aber so etwas hätte einfach Kathleens ganzer Art widersprochen. »Nein, bestimmt nicht. Der Telefonservice war für sie ein Job, und den hat sie genauso ernstgenommen wie
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