Verlorene Liebe
Eltern sind oben und ruhen sich aus.«
»Sind sie in Ordnung?«
»Nein.« Grace setzte sich abrupt wieder in Bewegung, so als treibe etwas sie dazu, möglichst viel Distanz zwischen sich und das abgesperrte Arbeitszimmer zu bringen. »Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen, Jonathan.«
»Kathleen war meine Frau und die Mutter meines Sohnes.«
»Ja, aber anscheinend hat das nicht ausgereicht, um dich zur ehelichen Treue anzuhalten.«
Er sah sie mit ruhigem Blick an. Man konnte ihm wirklich nicht absprechen, gut auszusehen: gerade, sauber geschnittene Züge, kalifornisch blondes dichtes Haar, eine gute Figur, ein durchtrainierter Körper. Nur seine Augen hatten Grace immer gestört: ruhig, stets gelassen, beinahe kalt.
»Nein, offenbar nicht. Ich bin mir sicher, daß Kathleen nicht gezögert hat, dir ihre Version des Verlaufs unserer Ehe zu erzählen. Im Augenblick erscheint es mir nicht schicklich, dich mit meiner Version zu belästigen. Ich bin eigentlich gekommen, um zu erfahren, was geschehen ist.«
»Kathie wurde ermordet!« Grace mußte alle Kräfte aufbieten, um an sich zu halten, während sie ihm eine Tasse Kaffee einschenkte. »Sie wurde letzte Nacht in ihrem Arbeitszimmer vergewaltigt und erwürgt.«
Jonathan nahm die Tasse entgegen und ließ sich dann auf einem Küchenstuhl nieder. »Warst du im Haus, als … als es geschehen ist?«
»Nein, ich bin aus gewesen. Ich kam kurz nach dreiundzwanzig Uhr zurück und habe sie gefunden.«
»Verstehe.« Was immer er empfand, wenn er überhaupt etwas fühlte, ließ sich an diesem einen Wort nicht erkennen. »Hat die Polizei schon einen Tatverdächtigen?«
»Zur Zeit noch nicht. Aber ich schätze, du wirst dich mit den Herren noch unterhalten wollen. Die Detectives Jackson und Paris leiten die Ermittlungen.«
Jonathan nickte. Bei seinen Verbindungen konnte er sich binnen einer Stunde Kopien aller Ermittlungsunterlagen kommen lassen, ohne sich direkt an Ed und Ben wenden zu müssen. »Ist schon ein Termin für die Beerdigung festgelegt worden?«
»Übermorgen. Elf Uhr. Die Messe wird in St. Michael’s abgehalten, unsere alte Gemeindekirche. Morgen kann man von Kathleen Abschied nehmen. Meine Eltern wollen es so. Im Bestattungsinstitut Pumphrey. Die Adresse steht im Telefonbuch.«
»Ich würde mich freuen, bei den Arrangements helfen oder bei den Kosten einspringen zu können.«
»Nein.«
»Gut.« Er erhob sich, ohne seinen Kaffee angerührt zu haben. »Ich bin im Hotel Washington zu finden, für den Fall, daß du mit mir in Kontakt zu treten wünscht.«
»Dazu wird es nicht kommen.«
Angesichts der Bitterkeit in ihrer Stimme runzelte er leicht die Stirn. Jonathan hatte nie die geringste Ähnlichkeit zwischen den beiden Schwestern feststellen können. »Du konntest mich noch nie ausstehen, nicht wahr, Grace?«
»Du drückst es noch gelinde aus. Aber wie wir beide zueinander stehen, dürfte im Moment kaum eine Rolle spielen. Eines möchte ich dir allerdings noch sagen.« Grace zog die letzte Zigarette aus dem Päckchen, und es gelang ihr, sie anzuzünden, ohne daß ihre Finger zitterten. Der Abscheu, den sie für Jonathan empfand, verlieh ihr eine Stärke, die ihr in diesem Moment höchst willkommen war. »Kevin ist mein Neffe. Ich erwarte, ihn zu sehen zu bekommen, wann immer ich mich in Kalifornien aufhalte.«
»Natürlich.«
»Das gleiche gilt auch für meine Eltern.« Sie hielt einen Moment inne und preßte die Lippen aufeinander. »Kevin ist alles, was ihnen von Kathleen geblieben ist. Sie sehnen sich nach einem regelmäßigen Kontakt zu ihrem Enkel.«
»Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Ich habe mich mit deinen Eltern immer auf einer vernünftigen Basis verständigen können.«
»Hältst du dich etwa für einen vernünftigen Mann?« Grace war selbst überrascht, wie viel schneidende Schärfe in ihrer Stimme mitschwang. Für einen Moment hatte sie sich tatsächlich so verbittert wie ihre Schwester angehört. »Hast du es etwa für vernünftig angesehen, Kevin von seiner Mutter fernzuhalten?«
Jonathan sagte zuerst nichts dazu. Obwohl seine Miene wie üblich undurchdringlich war, glaubte Grace doch zu spüren, wie es hinter dieser Fassade arbeitete. Dann erklärte er ebenso knapp wie ausdruckslos: »Ja. Ich finde allein zur Tür.«
Grace verfluchte ihn. Sie drehte sich um, stützte sich auf der Anrichte auf und verfluchte ihn, bis ihr keine Verwünschung mehr einfallen wollte.
Ed schob seinen Kopf in die mit kaltem
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