Verlorene Liebe
Wasser gefüllte Spüle und hielt die Luft an. Fünf Sekunden. Zehn Sekunden. Dann spürte er, wie die Erschöpfung langsam von ihm abfiel. Ein Zehn-Stunden-Tag war für ihn nichts Ungewöhnliches. Zehn Stunden Dienst nach zwei Stunden Schlaf konnten ihn auch nicht aus der Bahn werfen. Aber die Sorge machte ihm zu schaffen. Er mußte feststellen, daß sie ihn mehr als ein paar Gläser Gin seiner Energie beraubte.
Was sollte er Grace bloß sagen? Er hob den Kopf aus dem Wasser, und die Tropfen rannen seinen Bart hinab. Die Polizei hatte noch keinen Verdächtigen, nicht einmal eine vage Ahnung. Grace war nicht dumm. Sie wußte, daß eine Spur nach den ersten vierundzwanzig Stunden rasch erkaltete.
Was konnten sie bislang überhaupt vorweisen? Da war die wunderliche alte Frau, die vielleicht einen Wagen gesehen hatte, der möglicherweise Kathleen Breezewood gefolgt war oder auch nicht. Und dann war da noch der Hund, der in der Nacht gebellt hatte. Kathleen Breezewood hatte weder Freunde, noch hatte sie einem Kollegen nahegestanden. Der einzige Mensch, den sie überhaupt an sich herangelassen hatte, war ihre Schwester gewesen. Und wenn Grace ihnen alles mitgeteilt hatte, was sie wußte, blieben die Ermittlungen auf Zufälle angewiesen. Jemand, der Kathleen auf ihrem Weg zur Arbeit, auf dem Markt oder im Garten gesehen hatte. In dieser Stadt gab es genauso viele Gewaltverbrechen wie andernorts auch, ob mit Vorsatz oder ohne. Zur Zeit sah es so aus, als wäre Kathleen nicht mehr als ein weiteres Opfer.
Sie hatten heute morgen einige Personen verhört, waren aber nicht weitergekommen. Darunter zwei Männer, die man wegen Überfällen auf Frauen festgenommen hatte, die aber von ihren Anwälten herausgeboxt worden waren. Beweise zu sammeln und einen Tatverdächtigen zu verhaften, führte nicht zwangsläufig zu dessen Aburteilung – genauso wenig wie Recht und Gerechtigkeit ein und dasselbe waren. Ben und Ed hatten gegen die beiden nicht genug in der Hand gehabt, um sie länger festsetzen zu können. Ed wußte zwar, daß die Männer früher oder später eine andere Frau vergewaltigen würden, ihm war aber auch klar, daß sie mit dem Verbrechen an Kathleen nichts zu tun hatten.
Die zehn Sekunden unter Wasser reichten nicht aus. Ed holte ein Handtuch aus dem Schrank Dessen Türen lehnten unten an einer Wand und warteten darauf, abgeschmirgelt zu werden. Er hatte eigentlich vorgehabt, heute abend ein oder zwei Stunden an ihnen zu werkeln, damit er sie an seinem nächsten freien Tag einhängen konnte. Aber eine innere Stimme sagte ihm, daß ihn die Arbeit mit den Händen nicht von seinen düsteren Gedanken ablenken konnte.
Er vergrub das Gesicht im Handtuch und überlegte, ob er Grace anrufen sollte. Aber was hätte er ihr sagen können? Die Leiche würde morgen freigegeben, und Ed hatte dafür gesorgt, daß man Grace darüber in Kenntnis setzte. Der Bericht des Gerichtsmediziners hatte auf seinem Schreibtisch gelegen, als er um achtzehn Uhr aufs Revier zurückgekehrt war.
Nein, es hatte keinen Sinn, Grace alle Details zu berichten. Überfall mit Vergewaltigung. Tod durch Strangulation. Tod eingetreten zwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig Uhr. Reste von Kaffee und Valium in ihrem Verdauungssystem festgestellt (und sonst kaum etwas). Blutgruppe: 0 positiv. Damit war erwiesen, daß das Blut der Gruppe A positiv vom Täter stammte. Kathleen hatte sich gewehrt und ihn nicht ganz ungeschoren davonkommen lassen.
Unter ihren Fingernägeln hatte man zusammen mit dem Blut Hautpartikel und Haare des Täters gefunden. Deshalb wußte man jetzt, daß es sich um einen Weißen unter dreißig gehandelt hatte.
Man hatte sogar einige bruchstückhafte Fingerabdrücke auf der Telefonschnur festgestellt. Ed schloß daraus, daß der Täter entweder dumm sein mußte oder aber der Mord nicht geplant gewesen war. Leider halfen Fingerabdrücke nur dann weiter, wenn in den Unterlagen solche aufzufinden waren, die mit ihnen übereinstimmten. Und bislang war der Computer auf nichts dergleichen gestoßen.
Falls sie den Täter ausfindig machten, hatten sie jetzt schon genug Beweise zusammen, um ihn vor Gericht zu bringen. Möglicherweise reichten sie sogar zu seiner Verurteilung aus. Aber dazu mußten sie ihn erst einmal finden.
Und sie wußten nicht einmal, wo sie mit der Suche beginnen sollten.
Ed warf das Handtuch ins Waschbecken. War er so gereizt, weil der Mord im Nachbarhaus begangen worden war? Weil er das Opfer gekannt hatte? Oder weil
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