Verlorene Liebe
gefolgt.«
Ben setzte sich wieder hin und ertrug still die nächste Katzenattacke. »Was für ein Wagen?«
»Oh, ein dunkler, einer von denen, die nur die Reichen fahren. Normalerweise hätte ich mir nichts dabei gedacht, und so habe ich weiter meine Gardenien gegossen. Man muß mit diesen Pflanzen sehr vorsichtig sein, sie sind unglaublich empfindlich. Nun denn, ich hielt gerade die Gießkanne in der Hand, als dieses fremde Auto auftauchte und hinter Mrs. Breezewood herfuhr. Ich habe davon richtig Herzklopfen bekommen.« Die Frau wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, als wollte sie sich Luft zufächeln. Die Glasringe an ihren Fingern waren zu stumpf, um das Sonnenlicht zu reflektieren. »Mein Herz hat so gepocht, daß ich mich hinsetzen mußte. Wie damals in Vicksburg oder wie in der Zeit im Unabhängigkeitskrieg. Ich konnte nur noch an die arme Lucilla denken. So hieß sie nämlich damals – Lucilla Greensborough. Arme Lucilla, dachte ich, nun geschieht es also von neuem. Natürlich konnte ich es nicht verhindern.« Sie senkte die Hand und streichelte wieder die Katze. »Gegen die Mächte des Schicksals sind wir machtlos.«
»Haben Sie gesehen, wer am Steuer dieses Wagens saß?«
»Ach du liebe Güte, nein. Meine Augen sind schon lange nicht mehr so gut, wie sie einmal waren.«
»Dann vielleicht das Nummernschild?«
»Ach, mein Junge, ich könnte nicht einmal einen Elefanten im Nachbargarten erkennen.« Sie schob die Brille wieder hoch und machte ein verdutztes Gesicht, als ihre Augen allmählich die Besucher ausmachten. »Mich überkommen eigenartige Gefühle und Vorahnungen. Das fremde Auto hat sehr negative Strömungen in mir freigesetzt. Von wegen Tod und so. Tja, und da war ich nicht im mindesten überrascht, heute morgen im Radio von ihrem Tod zu hören.«
»Mrs. Kleppinger, können Sie sich noch an den Tag erinnern, an dem Ihnen der Wagen aufgefallen ist?«
»Zeit bedeutet gar nichts. Alles verläuft in einem ewigen Kreislauf. Der Tod ist ein natürlicher Vorgang und auf einen Zeitraum begrenzt. Mrs. Breezewood wird zurückkehren und dann vielleicht endlich ihr Glück finden.«
Ben schloß die Tür hinter sich und atmete erst einmal tief durch. »Gott, was für ein Gestank!« Vorsichtig tastete er die Gegend rings um seinen Oberschenkel ab. »Ich dachte schon, der kleine Mistkerl wollte mich zerfetzen. Vermutlich ist er nicht einmal geimpft.« Auf dem Weg zum Wagen bemühte er sich vergeblich, die Katzenhaare von seiner Kleidung zu entfernen. »Was hältst du denn von ihr?«
»Ich fürchte, damals bei Vicksburg hat sie einen mächtigen Schlag auf den Kopf erhalten. Aber es ist nicht auszuschließen, daß sie tatsächlich einen Wagen gesehen hat.« Er drehte sich zum Haus um und stellte fest, daß einige Fenster sauber genug waren, um einen Blick auf die Straße zu ermöglichen. »Aber ob der auch der Breezewood gefolgt ist, steht auf einem anderen Blatt. Wie dem auch sei, wir sollten die Sache weiterverfolgen.«
»Der Meinung bin ich auch.« Ben nahm hinter dem Steuer Platz. »Sollen wir dort drüben kurz anhalten.« Er nickte in Richtung von Kathleens Haus. »Du könntest auf einen Sprung vorbeischauen.«
»Nein, laß uns weitermachen. Sie hat jetzt bestimmt mit ihren Eltern vollauf zu tun.«
Grace hatte ihrer Mutter eine Tasse Tee gemacht und ihrem Vater die Hand gehalten. Und natürlich hatte sie wieder geweint, so lange, bis es ihr an der Kraft fehlte, weitere Tränen zu vergießen. Und um es ihren Eltern leichter zu machen, hatte sie ihnen ein paar Lügen aufgetischt. Danach habe sich Kathleen auf dem besten Weg befunden, ein neues Leben zu beginnen. Grace verlor kein Wort über die Valiumflaschen und die Verbitterung ihrer Schwester. Schließlich wußte sie, daß ihre Eltern die größten Hoffnungen in ihre älteste Tochter gesetzt hatten.
In den Augen der Eltern war Kathleen stets die Stabilere, die Verläßlichere gewesen, während der Gedanke an ihre zweite Tochter ihnen stets ein Lächeln, aber kaum mehr entlockt hatte. Sie erfreuten sich an Grace’ Kreativität, ohne sie im mindesten zu begreifen. Kathleen mit ihrer konventionellen Hochzeit, ihrer konventionellen Ehe und ihrer konventionellen Familie verstanden sie hingegen um so besser.
Natürlich war die Scheidung ein herber Schlag für sie gewesen, aber als liebende Eltern war es ihnen möglich gewesen, ihre Überzeugungen für einen Moment beiseite zu schieben und diese Schicksalsfügung zu akzeptieren.
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