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Verlorene Liebe

Verlorene Liebe

Titel: Verlorene Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Senator hatte Charlton P. Hayden sich den Ruf erworben, ein ebenso mächtiger wie intelligenter Mann zu sein. Er besaß das Image eines reichen, priviligierten Gentleman, der die Nöte der Masse kannte, sich auch für aussichtslose Fälle einsetzte und sie sogar zu einem glücklichen Ende bringen konnte. Ein Vorbild mit makellos weißer Weste. Jeralds Vater war stets sehr umsichtig, sehr entschlossen und sehr geschickt gewesen.
    Der Junge zweifelte keine Minute daran, daß nach dem Ende des Wahlkampfes, wenn alle Stimmen ausgezählt und das letzte Konfetti zusammengefegt war, sein Vater als der jüngste und bedeutendste Mann seit Kennedy ins Weiße Haus einziehen würde.
    Charlton P. Hayden wäre bestimmt nicht glücklich, wenn er erführe, daß sein einziger Sohn, sein Stammhalter und Erbe, eine Frau erwürgt hatte und schon auf der Suche nach dem nächsten Opfer war.
    Aber Jerald war auch nicht ohne. Niemand würde je herausfinden, daß der Sohn des in allen Umfragen führenden Präsidentschaftskandidaten Geschmack am Mord gefunden hatte. Wenn er diese Vorliebe vor seinem Vater geheim halten konnte, würde auch sonst niemand jemals einen Verdacht gegen ihn hegen.
    Deshalb hatte er die Blumen geschickt, und deshalb blieb er bis spät in der Nacht auf, um die richtige Stimme und die richtigen Worte zu vernehmen.
     
    »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind, Schwester.« Grace schalt sich eine Närrin, weil es ihr eigenartig vorkam, einer Nonne die Hand zu schütteln. Aber sie konnte sich nie gegen die Erinnerung an die nicht eben seltenen Male in ihrer Schulzeit wehren, an denen eine Nonne ihr mit einem Lineal auf die Hände geschlagen hatte. Und sie hatte sich noch nicht daran gewöhnt, daß solche Frauen keine Trachten mehr trugen. Die Nonne, die sich ihr als Schwester Alive vorgestellt hatte, war mit einem kleinen silbernen Kruzifix, einem konservativen schwarzen Kostüm und Schuhen mit niedrigen Absätzen, aber nicht mit Schleier und Robe erschienen.
    »All unsere Gebete sind bei Ihnen und Ihrer Familie, Miß McCabe. In den wenigen Monaten, die ich Kathleen kannte, hat sie mir aufgrund ihres Einsatzes und ihrer Fähigkeiten als Lehrerin Respekt abgenötigt.«
    Respekt abgenötigt. Diese Worte hatte Grace des öfteren zu hören bekommen. Niemand schien je Zuneigung oder Freundschaft für Kathleen empfunden zu haben. »Vielen Dank, Schwester.«
    Viele Mitglieder des Lehrkörpers und ein paar Schüler waren in die Kirche gekommen. Ohne sie hätte es in den Bankreihen recht leer ausgesehen. Jeder, dachte Grace, als sie auf einer hinteren Bank Platz nahm, wirklich jeder war aus Pflichtbewußtsein erschienen.
    So viele Blumen. Grace betrachtete die Kränze und Gebinde, die im Mittelschiff aufgebaut waren, und fragte sich, ob sie die einzige war, die unter den gegebenen Umständen die Farben der Blüten als obszön empfand. Die meisten dieser letzten Grüße stammten aus Kalifornien. Ein Strauß Gladiolen nebst formeller Beileidskarte war anscheinend alles, was man von den Menschen erwarten durfte, die einmal Bestandteil von Kathleens Leben gewesen waren. Oder besser: von Mrs. Breezewoods Leben.
    Grace haßte den Duft der Blumen genausosehr wie den glänzenden weißen Sarg, dem sie sich nicht nähern wollte. Und auch die Musik war ihr zuwider, die leise die Kirche erfüllte. Sie wußte, daß sie nie wieder Orgelmusik hören konnte, ohne an den Tod zu denken.
    Dies war der Schmuck und das Ritual, das die Toten von den Lebenden erwarteten. Oder war es vielmehr so, daß die Lebenden glaubten, sie waren das den Toten schuldig? Grace wußte gar nichts mehr, außer daß sie, sobald ihre Zeit gekommen war, sich alle Zeremonien, Grabgesänge, Freunde und Verwandten, die mit tränenfeuchten Augen auf ihre sterblichen Überreste hinabstarrten, verbitten würde.
    »Grace.«
    Sie drehte sich um und hoffte inständig, daß ihr nichts von ihren Gefühlen anzumerken war. »Oh, Jonathan, du hier?«
    »Selbstverständlich.« Anders als Grace blickte er den Mittelgang hinab auf den weißen Sarg, in dem seine frühere Frau lag.
    »Immer noch ums Image bemüht, was?«
    Die Köpfe, die sich nach Grace’ Worten zu ihnen umdrehten, entgingen ihm nicht, aber er reagierte darauf lediglich mit einem Blick auf seine Uhr. »Ich fürchte, ich kann nur an der Messe teilnehmen. In einer Stunde will mich ein Detective Jackson sprechen. Und danach muß ich zum Flughafen.«
    »Wie überaus liebenswert von dir, in deinem Terminplan noch etwas Zeit für

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