Verlorene Liebe
war, daß sie nichts dagegen tun konnte. Während der meisten Zeit in unserer Ehe ist jeder von uns seiner eigenen Wege gegangen, weil das für uns beide so am besten war.«
Diese Worte riefen in ihr etwas Furchtbareres als Scham hervor: Grace fühlte sich elend; denn sie wußte, wie recht Jonathan damit hatte. Sie hatte ihre Schwester selbst so erlebt, auch wenn sie sich lange geweigert hatte, sich das einzugestehen. Sie sah, wie er sich das Haar glattstrich, nachdem eine leise Brise hindurchgefahren war. Die lässige Geste eines Mannes, der alles Unperfekte nicht ertrug. Kathleen mochte ihre Fehler gehabt haben, aber sie hatte damit nicht allein gestanden.
»Und irgendwann war das für dich nicht mehr das beste, oder?«
»Stimmt. Als ich ihr die Scheidung vorschlug, hat sie zum erstenmal seit vielen Jahren so etwas wie eine Emotion gezeigt. Sie weigerte sich einzuwilligen, sie hat mich bedroht und dann angefleht. Sie fürchtete sich keineswegs davor, mich zu verlieren, sondern die gesellschaftliche Stellung, an die sie sich so sehr gewöhnt hatte. Als Kathleen erkennen mußte, daß es mir mit der Trennung ernst war, hat sie fluchtartig das Haus verlassen und sich geweigert, irgendeine Übereinkunft überhaupt in Erwägung zu ziehen. Drei Monate blieb sie fort, ehe sie wieder Kontakt zu mir aufnahm und sich nach Kevin erkundigte. Drei Monate lang hatte sie ihren Sohn weder gesehen noch gesprochen.«
»Sie mußte erst ihren Schmerz verarbeiten.«
»Vielleicht. Aber mir war inzwischen klar geworden, daß ich von dieser Frau nichts mehr wollte. Ich habe ihr erklärt, daß ich es nicht zulassen würde, wenn sie Kevin aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen wollte. Aber ich habe ihr auch Zeiten vorgeschlagen, wann sie den Jungen bei sich haben könnte.«
»Sie wollte um ihren Sohn kämpfen. Kathleen hatte Angst vor dir und deiner Familie, aber sie war trotzdem fest entschlossen, um ihren Kevin zu kämpfen.«
»Das ist mir bekannt.«
»Du wußtest, was sie getan hat?«
»Mir war bekannt, daß sie einen Anwalt und einen Privatdetektiv auf mich angesetzt hat.«
»Und was hättest du unternommen, um sie daran zu hindern, das Sorgerecht für Kevin zu bekommen?«
»Alles menschenmögliche.« Wieder warf er einen Blick auf seine Uhr. »Es hat den Anschein, als würden wir die Messe aufhalten.«
Er öffnete die Tür und trat in die Kirche.
Als Ben vor der roten Ampel anhielt, zog er einen mit Zuckerguß überzogenen Doughnut aus der weißen Tüte. Draußen war es warm genug, um die Seitenfenster halb herunterzukurbeln, und die seichte Musik aus dem Wagen neben ihnen übertönte die Blues-Songs von B. B. King, die Ben eingelegt hatte.
»Wie kann sich jemand freiwillig einen solchen Scheiß anhören?« Er warf einen Blick auf das andere Auto, erkannte einen Volvo und verdrehte die Augen. »Ich habe den starken Verdacht, daß es sich dabei um eine großangelegte sowjetische Verschwörung handelt. Sie haben insgeheim die Radiosender übernommen und überschwemmen uns jetzt so lange mit diesem James-Last-Brei, bis die Gehirne von allen aufrechten Amerikanern sich in Gelee verwandelt haben. Und während sie darauf warten, daß wir ins Barry-Manilow-Koma fallen, hören sie sich selbst Stones an.« Ben biß in seinen Doughnut und drehte die Lautstärke von B. B. King auf. »Und wir machen uns Sorgen wegen der SS-20 in Mitteleuropa.«
»Das solltest du unbedingt dem Pentagon schreiben«, bemerkte Ed.
»Dafür ist es längst zu spät.« Ben fuhr los und bog kurz hinter der Kreuzung rechts ab. »Die Burschen dort sind bestimmt im Carpenters-Taumel. Sie kleistern uns die Hirne zu, Ed. Die Rußkis geben keine Ruhe, bis wir willenlose Zombies geworden sind.«
Ed sagte nichts mehr dazu, und Ben drehte die Lautstärke wieder herunter. Wenn es ihm schon nicht gelang, seinen Partner auf andere Gedanken zu bringen, konnte er genauso gut die Sprache auf das eigentliche Thema bringen.
»Heute findet die Beerdigung statt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sobald wir diesen Einsatz hier hinter uns haben, könnten wir uns ein paar Stunden freinehmen.«
»Sie will mich nicht mehr sehen, bis ich ihr was Neues berichten kann.«
»Vielleicht gäbe es da etwas.« Ben studierte die Hausnummern, an denen sie vorbeikamen. »Wann will sie denn zurück nach New York?«
»Weiß ich nicht.« Ed hatte sich bislang nach Kräften bemüht, nicht daran zu denken. »In ein oder zwei Tagen.«
»Ist es dir mit der Schriftstellerin ernst?«
»Hab
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