Verlorene Liebe
hoffte sie, sie könnte lange genug bleiben, um die Azaleen in voller Blütenpracht zu erleben.
»Oh, Kath, es ist wunderschön hier.«
»Na ja, ist nicht ganz Palm Springs«, entgegnete Kathleen, doch ohne Bitterkeit in der Stimme, und fing an, Grace’ Sachen auszupacken.
»Nein, meine Liebe, ich meine es ernst. So stelle ich mir ein richtiges Zuhause vor.« Und sie sagte das wirklich nicht aus Höflichkeit. Ihre Fantasie und ihr Schriftstellerauge malten sich bereits aus, wie es sein mußte, hier zu leben.
»Ich wollte Kevin etwas bieten … wenn er zu mir kommt.«
»Er wird sich sofort darin verlieben«, verkündete Grace mit der für sie typischen Selbstverständlichkeit. »Der Bürgersteig ist wie geschaffen für Skateboards und erst die vielen Bäume.« Ein Stück weiter stand ein Baum, der aussah, als sei der Blitz in ihn eingeschlagen, aber davon ließ Grace sich nicht beeinträchtigen. »Kath, wenn ich dieses wunderbare Haus so sehe, frage ich mich ernsthaft, was ich eigentlich noch in Upper Manhattan will.«
»Reich und berühmt werden.« Wieder war ihr nichts von ihrer Bitterkeit anzumerken. Sie reichte ihrer Schwester die Taschen.
Grace blickte abermals zum Nachbarhaus. »Ich denke, ein paar Azaleen könnte ich mir auch zulegen.« Sie hakte sich bei Kathleen ein. »Und jetzt mußt du mir unbedingt zeigen, wie es drinnen aussieht.«
Die Einrichtung entsprach dem, was Grace erwartet hatte. Kathleen hatte es gern, wenn alles ordentlich war und hübsch an seinem Platz stand. Das Mobiliar war eine Spur zu wuchtig, aber geschmackvoll (und natürlich entstaubt und poliert). Genauso wie Kath, dachte Grace mit einer Spur Bedauern. Die vielen kleinen Zimmer, die irgendwie ineinander verschachtelt wirkten, gefielen ihr sehr.
Kathleen hatte in einem Raum ein Arbeitszimmer eingerichtet. Der Schreibtisch wirkte noch sehr neu. Sie hat wirklich nichts aus Kalifornien mitgenommen, sagte sich Grace. Nicht einmal ihren Sohn. Ihr fiel auf, daß auf dem Schreibtisch ein Telefon stand und nicht weit davon auf einem Stuhl noch eins. Aber sie schwieg dazu, wußte sie doch, daß Kathleen bestimmt eine durchaus einleuchtende Erklärung dafür hatte.
»Spaghetti-Soße!« Der Duft führte Grace geradewegs in die Küche. Wenn jemand sie nach ihrer Lieblingsfreizeitbeschäftigung fragen würde, hätte Essen bestimmt ganz oben auf der Liste gestanden.
Die Küche war genauso makellos gepflegt wie der Rest des Hauses. Grace war fest davon überzeugt, daß sich im Toaster kein einziger Krümel finden ließe, darauf hätte sie sogar gewettet. Ihre Schwester hob immer noch alle Reste in Plastikdosen auf und stellte sie ordentlich etikettiert in den Kühlschrank; die Gläser waren bestimmt der Größe nach geordnet im Küchenschrank untergebracht. So hatte Kathleen es immer schon gehalten und sich in dieser Hinsicht in dreißig Jahren um keinen Deut geändert.
Während Grace über den alten Linoleumboden lief, hoffte sie, daß sie nicht vergessen hatte, sich vor der Tür die Füße abzutreten. Dann hob sie den Deckel vom Topf auf dem Herd und sog das Aroma lange und tief ein. »Ich würde sagen, du hast deine Kochkünste nicht verlernt.«
»Ich habe mich wieder auf sie besonnen.« Und das nach Jahren in einem Haushalt voller Bediensteter und Köche. »Hast du Hunger mitgebracht?« Zum ersten Mal wirkte Kathleens Lächeln ehrlich und entspannt. »Was frage ich überhaupt.«
»Ach je, ich habe völlig vergessen, daß ich dir etwas mitgebracht habe.«
Während Grace in die Diele zurückeilte, stellte sich Kathleen ans Fenster. Warum nur wurde ihr nun, da Grace gekommen war, bewußt, wie leer sich ihr Haus vorher angefühlt hatte? Welchen besonderen Zauber besaß ihre Schwester, mit dem sie einen Raum, ein Haus, ja vermutlich eine ganze Arena ausfüllen konnte? Und was um alles in der Welt sollte sie nur anfangen, wenn Grace wieder abgereist war?
»Valpolicella!« verkündete sie, als sie in die Küche zurückkehrte. »Du siehst, ich habe schon mit einem italienischen Essen gerechnet.« Als Kathleen sich vom Fenster abwandte und zu ihr umdrehte, konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten. »Ach, du armes Liebes.« Mit der Flasche in der Hand lief Grace auf sie zu.
»Gracie, ich vermisse ihn so furchtbar, daß ich manchmal am liebsten sterben möchte.«
»Ich weiß, wie du dich fühlst. Ach, Kleines, mir tut es so leid für dich.« Sie fuhr ihrer Schwester übers Haar, und Kathleen strich die Strähnen sofort wieder
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