Verlorene Liebe
Breezewood-Akte daneben. »Was sagst du dazu?«
»Ich würde sagen, wir haben eine Übereinstimmung.«
»Ja, das glaube ich auch. Jetzt müssen wir den Mann nur noch finden.«
Grace warf ihre Handtasche aufs Sofa und ließ sich daneben fallen. Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals so erledigt gefühlt zu haben. Weder nach einem Schreibmarathon von vierzehn Stunden noch nach einer Party, die bis in den frühen Morgen angedauert hatte, noch nach einer Lesetournee durch zwölf Städte.
Von dem Augenblick an, in dem sie ihre Eltern in Phoenix angerufen hatte, bis eben, als sie mit ihnen zum Flughafen gefahren war, hatte sie ihre Energie bis auf den letzten Rest aufgebraucht. Dem Himmel sei Dank, daß Mom und Dad einander hatten; denn sie konnte ihnen einfach nichts mehr geben.
Grace wäre am liebsten nach Hause geflogen, zurück nach New York, wo es so lärmend und hastig zuging, daß man alles andere darüber vergessen konnte. Es juckte sie schon in den Fingern, ihre Kiste zu packen, Kathleens ehemaliges Heim zu verriegeln und das nächste Flugzeug zu besteigen. Aber das wäre ihr dann doch wie Flucht vor der Realität vorgekommen. Außerdem gab es hier noch über hundert Dinge, um die sie sich kümmern mußte: Versicherungen, Vermieter, Bankverbindungen und alles andere, was Kathleens Leben betraf.
Die meisten Besitztümer ihrer Schwester wollte sie zusammenpacken und der Kirche schenken. Doch da fanden sich bestimmt auch einige Gegenstände, die sie besser Kevin oder ihren Eltern schickte. Erinnerungen an die Mutter beziehungsweise die Tochter.
Aber nein, Grace spürte, daß sie noch lange nicht soweit war, die Kleider und den Schmuck Kathleens durchzusehen.
Dann mußte sie eben mit dem Papierkrieg anfangen. Zuerst die Beerdigung und von dort aus weiter zurück. So viele Beileidskarten waren gekommen. Ihre Mutter wollte die bestimmt haben, um sie in einer Schachtel aufzuheben. Vielleicht wäre das der günstigste Einstieg in die Arbeit. Die meisten Namen würden ihr sicher nichts sagen. Doch sobald sie einmal begonnen hatte, würde es ihr zunehmend leichterfallen, sich auch um die persönlicheren Angelegenheiten ihrer Schwester zu kümmern.
Aber als allererstes mußte sie Energie tanken. Grace setzte die Kaffeemaschine in Gang.
Sie nahm die dampfende Glaskanne mit auf ihr Zimmer und warf dort ihrem Computer einen sehnsuchtsvollen Blick zu. Seit Tagen hatte sie ihn nicht mehr eingeschaltet. Wenn sie den Abgabetermin für den neuen Roman nicht einhalten konnte, was zunehmend wahrscheinlicher wurde, brachte ihre Redakteurin gewiß Verständnis für die besonderen Umstände auf. Ein halbes Dutzend Freunde und Bekannte hatte bereits aus New York angerufen, um Mitgefühl auszudrücken oder Hilfe anzubieten. Das hatte Grace gutgetan und sie das Foto und die Schlagzeile in der Zeitung ertragen lassen. Ersteres zeigte sie auf der Beerdigung ihrer Schwester, zweitere lautete:
SCHWESTER VON PREISGEKRÖNTER AUTORIN BEIGESETZT
- G. B. McCabe nimmt an der Beerdigung ihrer auf brutale Weise ermordeten Schwester teil – Grace war die Lust vergangen, auch noch den Artikel zu lesen.
Aber die Schlagzeilen waren doch eigentlich egal, sagte sie sich. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie mit so etwas gerechnet. Sensationsmache gehörte als fester Bestandteil zum Spiel. Und bis vor ein paar Nächten hatte sie den ganzen Rummel auch noch als Spiel angesehen.
Grace trank ihre Tasse leer und füllte sie wieder auf, bevor sie sich an den großen Umschlag machte, der mit Karten vollgestopft war. Einen Moment lang war sie versucht, sie gar nicht erst herauszuholen, sondern gleich an ihre Mutter zu schicken. Doch dann legte sie sich aufs Bett und ging die Beileidsbekundungen eine nach der anderen durch. Einige der Absender erwarteten sicher eine Antwort. Das erledigte sie lieber gleich; sonst mußte sich ihre Mutter später damit abplagen.
Eine Karte stammte von der Schülerschaft von Our Lady of Hope. Grace betrachtete sie und nahm sich vor, Geld für ein Stipendium in Kathleens Namen zu spenden. Sie legte die Karte beiseite, um die Angelegenheit später mit ihrem Anwalt zu erörtern.
Grace kannte nur einige wenige der Namen auf den Abschiedsgrüßen aus Kalifornien – reiche und mächtige Familien an der Westküste, mit denen Kathleen gesellschaftlichen Umgang gepflegt hatte. Sollte Jonathan sich doch um die kümmern, entschied sie und warf diese Karten auf einen Haufen.
Als sie auf einen Gruß von einer
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