Verlorene Liebe
kaputt machen oder vermurksen könnte, aber noch mehr besorgte ihn, sie könnte sich mit dem Hammer verletzen. Eine Stunde verging, ehe er davon überzeugt war, daß sie mit Werkzeug umgehen konnte. Mehr noch, er mußte zugeben, daß sie sich durchaus auch auf solche Arbeiten verstand und genug Durchhaltevermögen besaß, um nach einer gewissen Eingewöhnungszeit wie ein Profi mit allem umgehen zu können. Nur mit dem Verputzen haperte es noch, aber das war nicht weiter schlimm, die Kleckse ließen sich leicht entfernen. Und die zusätzliche Zeit, die er dafür brauchte, beunruhigte ihn nicht im mindesten. Es war doch eigenartig, sagte er sich, wie viel schneller und leichter die Arbeit von der Hand ging, wenn Grace bei ihm war.
»Dieses Zimmer wird bestimmt großartig.« Sie rieb sich mit dem Handrücken über eine juckende Stelle am Kinn. »Gefällt mir, wie du diesen Raum L-förmig anlegst. Ich finde, jedes anständige Schlafzimmer sollte über eine abgetrennte Sitzecke verfügen.«
Ed wünschte sich, daß es ihr gefiel. In Gedanken sah er schon vor sich, wie alles im fertigen Zustand aussehen würde. Bis hin zu den blauen Vorhängen, die man raffen konnte, um die Sonne hereinzulassen.
»Ich glaube, ich werde ein paar Oberlichter anbringen.«
»Ehrlich?« Grace setzte sich aufs Bett und drehte den Kopf, um die Verspannung im Nacken zu bekämpfen. »Dann könnte man nachts hier liegen und die Sterne betrachten. Oder wie heute den Regen.« Ja, das wäre bestimmt wunderbar, sagte sie sich, während sie die noch unfertige Decke betrachtete. Hier ließe es sich aushalten. Ein idealer Ort zum Schlafen, um sich zu lieben oder einfach nur vor sich hin zu träumen. »Wenn es dir je in den Sinn kommen sollte, nach New York zu ziehen, könntest du dort als Innenarchitekt für Dachräume ein Vermögen machen.«
»Vermißt du die Großstadt?« Er wagte es nicht, sie jetzt anzusehen, und beschäftigte sich lieber damit, eine Kante zu glätten.
»New York? Na ja, manchmal.« Eigentlich immer weniger, wurde ihr in diesem Moment bewußt. »Weißt du, was dort drüben noch fehlt? Eine richtige Fensterbank. Ich meine eine, wo man sich auch hinsetzen kann.« Sie lag jetzt halb auf dem Bett und zeigte auf das Westfenster. »Als ich noch ein kleines Mädchen war, habe ich mir immer eine solche Sitzbank gewünscht, weil man sich darauf prima zusammenkuscheln und seinen Träumen hingeben kann.« Sie erhob sich und streckte die Arme. Eigenartig, wie rasch man in untrainierten Muskeln einen Krampf bekam. »Ich habe in meiner Kindheit viel Zeit in der Dachkammer verbracht, mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit dort versteckt und meine Fantasien ausgelebt.«
»Und dort ist dir auch die Idee gekommen zu schreiben?«
Grace machte sich wieder über den Eimer mit der Spachtelmasse her. »Ich habe immer schon gerne gelogen.« Sie lachte und schmierte etwas von der Masse in ein Loch. »Keine großen Lügen, nur kleine, aber dafür clever ausgedachte. Ich habe mich mehr als einmal durch solche erfundenen Geschichten aus der Affäre gezogen. Meine Eltern haben sich in der Regel so sehr darüber amüsiert, daß sie auf die Standpauke verzichteten. Das hat Kathleen stets auf die Palme gebracht.« Grace schwieg abrupt, als die Erinnerung wieder hochkam. Sie wollte jetzt nicht an die Zeiten mit ihrer Schwester denken müssen. »Wer singt denn da so schön?«
»Patsy Cline.«
Grace lauschte dem Song für einen Moment. Normalerweise stand sie nicht auf Country & Western, aber sie mußte zugeben, daß diese Melodie etwas hatte. »Hat man nicht einen Film über ihr Leben gedreht? Sie ist doch irgendwann in den Sechzigern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, oder?« Grace mußte wieder hinhören. Das Lied klang so vital, so lebensbejahend. Sie wußte bald nicht mehr, ob sie fröhlich lachen oder weinen sollte. »Ich glaube, ein anderer Grund fürs Schreiben war der, etwas zu hinterlassen. Ein Buch ist wie ein Song. Beide sind auch dann noch da, wenn man selbst schon im Grab liegt. In der letzten Zeit ist mir das immer öfter in den Sinn gekommen. Hast du auch schon einmal darüber nachgedacht, etwas hinterlassen zu wollen?«
»Natürlich.« Eigentlich eher in jüngster Zeit, sagte er sich, wenn auch aus anderen Gründen. »Urenkel.«
Sie mußte laut lachen, und Spachtelmasse tropfte auf ihren Pullover. Aber das war ihr in diesem Moment vollkommen egal. »Wie hübsch. Ich kann mir vorstellen, daß du dir Urenkel wünschst, wo du doch
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