Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
schreiend auf den Flur.
„Eliska! Du bleibst hier“, rief ihr die Mutter hinterher, als sie die Wohnungstüre aufriss und die Treppe hinunterstürzte. Doch Eliska rannte, so schnell sie konnte. Sie rannte die Straße entlang und versteckte sich im Garten der Nachbarn. Hinter einem alten Kaninchenstall. Dort im Versteck blieb sie solange, bis sie das Auto des Mannes hörte. Er fuhr wieder.
Laut hatte er vor der Türe geschimpft. Man müsse schon wissen, was man wolle, hatte er geschrien.
Die Nachbarn hatten an den Fenstern gestanden. Solche Tumulte lockten die Neugierigen heraus.
Ihre Mutter rief nach ihr. Sie rief wütend nach ihr. Mit einer wirklich sehr ärgerlichen Stimme. Eliska kannte diesen Ton und blieb noch eine halbe Stunde im Versteck hinter dem Stall sitzen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie starrte auf die Rüschen an ihrem Kleid und spürte noch die Hand auf ihrem Bein. Was wollte der Mann von ihr? Warum ließ ihre Mutter das zu?
Eliska spürte das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl, etwas ausgeliefert zu sein und sie konnte es nicht einmal benennen. Sie war verwirrt. Ihre Mutter hatte sie bisher immer beschützt. Vor allem. Und jedem. Aber jetzt schien sich etwas geändert zu haben.
Eliska dachte an die Worte ihres Bruders.
„Mama, ist es denn wirklich genug? Muss die Kleine jetzt nicht auch mit uns gehen?“
Was hatte er damit gemeint? Wohin sollte sie mit ihnen gehen? Kamen zu ihren Geschwistern auch solche Männer, die so fremdartig schauten?
Sie wusste es nicht. Ich werde meinen Bruder fragen. Er würde es ihr sagen. So lautete ihr Entschluss. Am liebsten hätte sie ihn direkt gefragt. Sicher würden ihre Geschwister auch schon von der Schule nach Hause gekommen sein. Doch etwas hielt sie davon ab, sofort zu gehen. Sie blieb hinter dem Stall sitzen. Bis sie sicher war, dass der Mann nicht wiederkam und auch ihre Mutter nicht mehr nach ihr rief.
*
Plauen
Carola Pütz wartete bereits eine Dreiviertelstunde, als die Türe mit einem Mal aufgerissen wurde. Mit hochrotem Kopf und schnellen Schritten, mit viel schnelleren Schritten, als er gegangen war, stampfte Giegrich herein.
„Ich habe eine Kamera“, rief er, als hätte er das Gewinner-Los der spanischen Lotterie ‚El gordo‘ in der Hand.
In der Hand schwenkte er eine Digitalkamera, die dem ersten Anschein nach wirklich schon in diesem Jahrzehnt hergestellt worden war. Der Trageriemen wedelte hin und her. Pütz las ‚Canon‘ darauf. Erleichterung machte sich breit. Hinter dem Assistenten schlich noch eine weitere Person in den Raum. Sie erkannte sofort Kommissar Streiter.
„Frau Doktor Pütz, ich muss mich noch einmal recht herzlich bei Ihnen für ihr Engagement bedanken“, sagte er und kam sofort mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
Pütz hielt ihre beiden Hände hoch. Streiter sah die Obduktionshandschuhe, verstand und ließ seine Hand sinken. „Wenn ich gewusst hätte, dass hier alle Uhren anders schlagen, hätte ich dankend abgelehnt“, sagte sie. Ihre Stimme klang ungeduldig und gereizt.
Streiter kapierte sofort. „Danke trotzdem, dass Sie uns unterstützen. Ich werde sie nicht weiter stören. Wenn Sie noch eine kurze Frage nach dem Stand der Untersuchung erlauben?“
Pütz überlegte nicht lange.
„Die Kleine wurde erwürgt, vorher brutal vergewaltigt. Im Wasser landete sie erst danach. Ob wir noch vitale Spermien auffinden werden, zeigt die Untersuchung. Wenn Ihnen das reicht, würde ich jetzt gerne mit den Fotos beginnen. Ich hoffe, die Speicherkarte ist leer?“
Sie streckte die Hand nach der Kamera aus, die Giegrich noch immer in der Hand hielt. Der schaute fragend zum Kommissar herüber.
„Das ist meine Kamera. Und ja, die Karte ist leer.“
„Sehr schön.“
Giegrich verschwand kurz im Nebenraum und Pütz hörte den Wasserhahn rauschen.
Sie betrachtete die Kamera. Es war ein Vorgängermodell ihrer eigenen. Also kannte sie sich damit aus. Sie schob den Hebel mit dem Daumen zurück und entfernte den Objektivdeckel. Giegrich kam wieder zurück mit einem frischen Satz OP-Handschuhe an den Händen.
„Kollege Giegrich, wenn Sie die Tote bitte umdrehen könnten, damit ich die Totenflecken sehen kann“, sagte sie und umfasste das Gehäuse der Kamera fest mit der rechten Hand. Ihre Anweisung war das Zeichen für den Kommissar zu gehen.
„Ich bin dann mal weg“, sagte Streiter. Das Gespräch war beendet.
Pütz nickte nur. Giegrich fasste Jolanka Ciczek an der Schulter und bei der Hüfte
Weitere Kostenlose Bücher