Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
sich in der Gerichtsmedizin zwischen den Zähnen herum pulte und Technik aus der Steinzeit. So viel zum West - Ost - Gefälle. Beinahe verfluchte sie ihre Hilfsbereitschaft.
„Wenn Sie das bitte alles herrichten würden? Ich habe nicht so viel Zeit.“
„Jaja, das mache ich schon. Keine Angst.“
Trotzdem blieb er stehen und schaute Pütz unverwandt an.
„Wollten Sie nicht das Mikrofon holen?“, fragte sie ihn.
„Ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt, Frau Doktor. Irgendwie Imposanter“, sagte er und hörte nicht auf, zu stieren.
Ihr fehlten die Worte. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Giegrich, dass ich nicht ihrem langläufigen Bild von Carola Pütz entspreche. Ich hätte auch hier eine professionellere Arbeitsweise erwartet. Immerhin geht es hier um ein totes Kind. Was haben Sie denn bisher eigentlich getan, wenn ich mal fragen darf?“
Giegrich schob sich gelangweilt mit einem Stoß von dem Sektionstisch weg und schlurfte auf die schmale Türe zu.
„Nichts. Der Kommissar hat mir gesagt, ich dürfte ohne die Gerichtsmedizinerin nichts anfassen. Außerdem wäre Sie ja da. So lange sollte ich warten. Das habe ich dann getan. Ich will hier keinen Ärger haben.“
Pütz blickte ihm hinter her. Keinen Ärger? Er wollte keinen Ärger haben? Wäre das einer ihrer Kollegen in Frankfurt gewesen, dann hätte er Ärger bekommen. Aber ganz Gehörigen sogar.
„Woher wusste der Herr Kommissar denn, dass ich herkommen würde, vor allem, seit wann meinte er, das zu wissen?“ , rief sie ihm hinterher.
Er hielt kurz vor der Türe seine schwerfälligen Schritte an. „Das hat er mir schon gestern berichtet. Gestern Nachmittag, um genau zu sein.“ Er sagte das, ohne sich umzudrehen.
Dann verschwand er hinter der Türe. Carola Pütz spürte, wie ein gewaltiger Ärger in ihr aufwallte. Wie kam dieser Kommissar Streiter dazu, einfach über ihren Kopf hinweg Entscheidungen zu treffen?
Giegrich kam wieder zurück mit einem riesigen, alten Mikrofon in der Hand.
Er stellte sich auf die Zehenspitzen und klinkte es in der Halterung über dem Sektionstisch ein.
„Und das funktioniert?“
„Tadellos“, antwortete er grinsend, „Sie brauchen nur noch auf diesen Knopf auf der Fernbedienung zu drücken, dann kann es losgehen.“ Er reichte ihr einen rechteckigen Kasten, so groß wie die Fernbedienung eines Uralt-Fernsehers und deutete auf eine Taste, auf der ‚REC‘ stand.
„Wie wäre es, wenn Sie das übernehmen, Herr Giegrich, hmh?“ Sie reichte ihm die Fernbedienung herüber und er griff in Zeitlupe danach.
„Wie Sie meinen, Frau Doktor“, sagte er stoisch. Pütz drehte sich um , warf ein kleines Stoßgebet an die Decke, zusammen mit einem enormen Augenaufschlag.
„Dann starten Sie mal ihre Maschine“, sagte sie. Er nickte als Zeichen, dass das Mikrofon nun aufzeichnen würde. So halte ich den Kerl wenigstens mit seinen Fingern von der Toten fern. Er trug zwar wieder Handschuhe und auch ein Käppi, was er sich auf den Kopf gesetzt hatte, doch hatte Pütz noch immer das Bild vor sich, wie er sich zwischen den Zähnen gepult hatte.
„Obduktion von Jolanka Ciczek, sechzehn Jahre alt. Anwesend sind Frau Doktor Carola Pütz und als Assistenz Herr Daniel Giegrich“, sagte sie und schob alle negativen Gedanken weg.
Die letzte Obduktion, die sie durchgeführt hatte, lag ein halbes Jahrzehnt zurück. Doch das Obduzieren war wie Fahrradfahren, das verlernte man auch nie wieder. So hatte es ihr Professor an der Universität immer gesagt, um den Studierenden den Schrecken vor ihrer ersten Sektion zu nehmen. Meistens hielte er dann schon sein Skalpell in der Hand, um den ersten Y-Schnitt auszuführen.
Nachdem Sie „Die Tote weißt ausgeprägte Leichenflecken auf dem Rücken auf. Außerdem sehe ich Strangulationsmerkmale am Hals, die auf einen Tod durch Strangulation oder Erwürgen hindeuten“, laut vor sich hin gerufen hatte, damit diese altertümliche Technik, der sie keineswegs vertraute, es aufzeichnen konnte, spulte sich der normale Ablauf einer Obduktion ab.
Du darfst es nicht an dich ranlassen. Das ist bloß eine Tote. Nichts sonst.
Jede Obduktion beginnt zunächst mit einer äußeren Besichtigung des Leichnams. Dabei werden Eckdaten wie das Gewicht, die Größe, die Hautfarbe und der allgemeine körperliche Zustand festgehalten. Auch Narben, Pigmentflecken und etwaige Verletzungen werden dokumentiert. Ebenso werden die Merkmale des Todes, etwa die Anzahl und Position der Leichenflecken, genau
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