Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
sagte er. Wie gewohnt hörte man den Schweizer sehr gut heraus.
„Ja, so ist es im Leben. Man spielt häufig eine Rolle. Egal wo. Und diese Rollen sind oft sehr unterschiedlich.“
„Oh ja“, sagte Winterhalter und er klang dabei, als würde sein Innerstes jubilieren.
„Erzählen Sie mehr“, forderte Pütz ihn auf.
Winterhalter schaltete den Scheibenwischer ein. Es hatte wieder begonnen, zu regnen.
„Das ist kein großes Geheimnis. Ich sitze jetzt hier mit Ihnen in meinem Auto, weil mein Chef mich für eine Weile aus dem Schussfeld haben wollte. Ich bin an den falschen Stellen zu ehrlich gewesen und habe einigen wichtigen Personen auf die Füße getreten.“
Pütz schmunzelte. „Ich möchte Sie nicht auf meinen zarten Füßchen stehen haben.“
„Ach nein?“
Sie verkniff sich ihre Antwort, stattdessen schaute sie aus dem Fenster. Sie hatten Bad Brambach erreicht. Sie fragte sich, ob Giegrich wohl auch diesen Ort gemeint hatte, als er von grenznahen Kliniken sprach. Sie betrachtete die großen Gebäude, jedes für sich. Wie auch in Bad Elster waren sie sich sehr ähnlich.
„Wie heißt eigentlich die Frau, mit der wir uns treffen?“
Winterhalter verringerte die Geschwindigkeit. Vor ihnen war ein Zebrastreifen und eine Frau mit einem Rollator stand am Straßenrand, wollte ihn überqueren. Er hielt an und machte freundlich lächelnd eine einladende Geste. Die Frau lächelte zurück und schob ihren Rollator in Seelenruhe über den Zebratreifen.
„Sie ist eine Deutsche und ihr Name ist Katharina Schuberth.“
Pütz sah der Frau mit dem Rollator hinterher. Sie lächelte noch immer.
„Eine Deutsche kümmert sich in Tschech ien um Roma-Kinder, die von deutschen Sex-Touristen …“, ihr fehlten die Worte, um das zu beschreiben, was die Männer taten.
„Ja, so ist es“, brummte Winterhalter, „Irgendwie schließt sich so ein perverser Kreis.“ Er kniff verbissen seinen Mund zusammen.
„Was ist mit den tschechischen Behörden?“
„Die haben ihre eigene Vorgehensweise. Man kann es auch Wegschauen nennen. Nicht alle, aber vielen sind die Roma egal.“
Pütz atmete einmal kräftig durch. „Aber Jolanka war keine Roma. Wie passt sie ins Schema?“
Kornblumenblau.
„Nicht alle Deutschen stehen auf diesen dunklen Typ. Viele wollen was Junges, Blondes.“
Sie erreichten die Stadtgrenze von Bad Brambach. Pütz schaute auf das Ortsschild. Bald würden sie die Grenze erreicht haben. Dann waren es nur noch zehn Kilometer bis nach Cheb.
Jung. Blond. Tot.
Die Vorlieben eines dieser Perversen hatten für den Tod des Mädchens geführt.
„Was macht denn die deutsche Polizei?“
„Diese Bilanz wollen Sie gar nicht hören!“, antwortete Winterhalter mit einem aggressiven Ton.
„Doch.“
„Jeden Tag werden bis zu zehn Kontakte zu den schon bestehenden Kontakten hinzugefügt. Die ernüchternde Bilanz der polizeilichen Ermittlungen dagegen: In fünf Jahren wurde in Cheb in nur 9 Fällen von Kinderprostitution ermittelt. Dabei haben die Streetworkerinnen, die mit Katharina Schuberth zusammenarbeiten, zahlreiche Fälle dokumentiert. Die Namen der Freier, deren sexuelle Neigung und viele Details mehr. Alles ist der Polizei bekannt.“
„Was?“
Winterhalter nickte impulsiv. „Dort vorne ist die Grenze. Dahinter beginnt die Straße der Schande . Ich nenne sie so.“
„So nennt man diese Straße?“
„Ja. Es gibt achtundneunzig Bordelle im Raum Cheb bei einer Bevölkerung von kaum sechsunddreißigtausend Einwohnern. Das scheint in diesen Bezügen noch hinnehmbar, vorausgesetzt, dass Frauenhandel, Gewalt und Kriminalität keine Rolle spielen würden. Wobei dies natürlich eine reine Illusion bleibt. Die Busse sind vollgepfropft mit geilen Sachsen oder Bayern. Teilweise kommen sie noch von Weiter her. Sie prägen das Straßenbild im Bereich dieser Lusthöhlen. Trunkene, laute deutsche Worte schwirren durch die Luft. Billig tanken, billig einkaufen, billig ficken, schöner kann es doch für den achtbaren Deutschen gar nicht sein.“
Seine Worte hallten hart in ihrem Kopf wider.
Achtbare Deutsche.
Pütz wurde unvermittelt schwummerig bei dem Gedanken. Spontan schämte sie sich für ihre Landsleute.
Sie erreichten die Grenze. Vor ihnen lag ein flacher, überdachte Grenzbau. Rechts und links lag jeweils ein weiß gestrichener Baukörper. Bevor sie die Bebauung erreichten, bog eine breite Straße zu dem weiträumigen Areal mit Parkplätzen ab.
Carola Pütz hielt intuitiv Ausschau nach Bussen
Weitere Kostenlose Bücher