Verlorene Seelen
Ratten?«
»Im Souterrain, glaube ich«, sagte Ed unbekümmert und ging in einen Raum, der einmal ein entzückendes Wohnzimmer gewesen war.
Das Zimmer war schmal und hatte eine hohe Decke. Die beiden Fensteröffnungen waren mit Brettern vernagelt.
Die Ummauerung des offenen Kamins war zwar
unversehrt, doch hatte irgend jemand den Kaminsims herausgebrochen. Der Fußboden unter der Staub- und Dreckschicht mochte durchaus aus Eiche sein.
»Ed, das ist …«
»Fantastische Möglichkeiten gibt’s hier. In die Küche ist ein Ziegelsteinofen eingebaut. Weißt du, wie Brot aus einem Steinofen schmeckt?«
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»Man kauft sich doch kein Haus, um Brot zu backen.«
Ben ging in die Eingangshalle zurück und paßte genauestens auf, ob sich auf dem Fußboden irgend etwas Lebendiges regte.
»Mein Gott, hier draußen ist ein Loch in der Decke. Ein über ein Meter breites Loch.«
»Das steht als erstes auf meiner Liste«, sagte Ed, als er sich zu ihm gesellte. Einen Moment lang standen sie schweigend da und blickten zu dem Loch hoch.
»Was heißt hier Liste? Das ist eine Lebensaufgabe.«
Während sie nach oben sahen, fiel eine Spinne von der Größe eines Daumens aus dem Loch und landete mit einem deutlich vernehmbaren Plumps vor ihren Füßen.
Extrem angewidert kickte Ben sie zur Seite. »Das kann doch nicht dein Ernst sein, daß du diese Bruchbude kaufen willst.«
»Aber natürlich. Irgendwann kommt einmal der Punkt, wo man sich ein Nest bauen möchte.«
»Du hast doch das, was ich übers Heiraten gesagt habe, nicht etwa auch ernst genommen?«
»In einem eigenen Häuschen«, fuhr Ed unbeirrt fort.
»Mit einem Arbeitsraum, vielleicht auch mit einem kleinen Garten. Hinter dem Haus ist ein geeignetes Plätzchen, wo man Kräuter anpflanzen könnte. Auf diese Weise hätte ich ein Ziel. Ich könnte jeweils ein Zimmer in Ordnung bringen, dann käme das nächste dran.«
»Dazu brauchst du fünfzig Jahre.«
»Ich habe doch nichts Besseres zu tun. Wollen wir nach oben gehen?«
Ben sah sich noch einmal das Loch in der Decke an.
»Nein, ich möchte gern am Leben bleiben. Wieviel?«
fragte er ohne Umschweife.
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»Fünfundsiebzig.«
»Fünfundsiebzig? Fünfundsiebzigtausend? Dollar?«
»In Georgetown sind Immobilien sehr gefragt.«
»Georgetown? Herrgott noch mal, wir sind doch hier nicht in Georgetown!« Etwas, das größer war als die Spinne von vorhin, wuselte in der Ecke herum. Ben griff nach seiner Waffe. »Die erste Ratte, die ich sehe, muß dran glauben.«
»Das ist nur eine Feldmaus.« Ed legte Ben
beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Ratten leben nur im Souterrain oder auf dem Dachboden.«
»Was denn, haben sie etwa einen Mietvertrag, der das so festlegt?« Doch er ließ seine Waffe im Halfter. »Hör mal zu, Ed, die Makler und die Stadtplaner verschieben einfach die Bezirksgrenzen, damit sie das hier Georgetown nennen und Idioten wie dir fünfundsiebzigtausend Dollar abknöpfen können.«
»Ich habe aber nur siebzig geboten.«
»Oh, du hast nur siebzig geboten. Das ist natürlich etwas anderes.« Er fing an, hin und her zu laufen, geriet aber in ein prachtvolles Spinnengewebe, aus dem er sich fluchend befreite. »Ed, das kommt alles von den
Sonnenblumenkernen. Du mußt Fleisch essen.«
»Du fühlst dich verantwortlich.« Hocherfreut lächelte Ed, bevor er in die Küche schlenderte.
»Nein, tu ich nicht.« Ben rammte die Hände in die Taschen. »Doch, tu ich, verdammt noch mal!«
»Dort ist der Garten. Mein Garten«, sagte Ed mit einer Handbewegung, als Ben ihm folgte. »Vor dem Fenster da könnte man Basilikum, Rosmarin und vielleicht auch Lavendel anpflanzen.«
Ben sah eine mit kniehohem Gras bewachsene Stelle, die 288
fast breit genug war, um dort mit zwei schwungvollen Handbewegungen einen Rasenmäher zu betätigen. »Du hast zuviel gearbeitet. Dieser Fall macht uns alle verrückt.
Ed, hör genau zu, was ich jetzt sage, vielleicht fällt dann der Groschen: Holzschwamm, Termiten, Ungeziefer.«
»Ich werde bald sechsunddreißig.«
»Na und?«
»Ich habe noch nie ein Haus besessen.«
»Himmel, Arsch und Zwirn, jeder wird irgendwann sechsunddreißig, aber nicht jeder muß ein Haus besitzen.«
»Scheiße, ich hab’ auch noch nie in einem gewohnt. Wir hatten immer Apartments.«
Die Küche roch nach dem Fett von Jahrzehnten, doch diesmal sagte Ben nichts.
»Es gibt auch einen Dachboden, so wie man ihn aus Filmen kennt, weißt du, wo immer Truhen und alte Möbel stehen. Das gefällt
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